526 X. Geistes- und Nervenkrankheiten und gerichtliche Medizin.
zahllose Opfer fordert und noch heute als absolnt unheilbar zubezeichnen ist — die Dementia paral^tiea oder, wie sich dieLaien ausdrücken, die Gehirnerweichung. — Schon Willis undHaslam gaben Schilderungen, aus denen unzweifelhaft hervorgeht,daß man zu ihrer Zeit die Dementia xaral^tica kannte, aber erstAntoine Laurent Bayle (1799—18S8) beschrieb 1822 in seinerThese: „Reeneroties sur 1'araeinritis ctironic^ns, la Aastrits ean-siclsrees comme eansss 6s 1'alieuation mentale" in einwandsfreierWeise die Paralyse und zeigte den Zusammenhang der motorischenStörungen mit den Veränderungen der Psyche. Bayle fand alspathologisch-aiurtomische Grundlage eine chronische Meningitis;Louis Florentin Calmeil (1798—1895), welcher Bayles Nach-folger als Direktor der Irrenanstalt in Charenton war, ging nochnäher auf das eigentliche Wesen der Paralyse ein und entdecktemit Hilfe des Mikroskopes, daß die Ursache in einer PeriencephalitiSzu suchen ist. Der Ausdruck: „Gehirnerweichung" ist Wohl aufJean Baptiste Parchappe de Vinay (1800—1866) zurückzuführeu,welcher erklärte, daß bei der Paralyse die mittlere Partie derGehiruriude nach einem vorausgegangenen Entzündungsprozesseerweicht wird. Später fand man, daß die chronische EntzündungAtrophie der Rinde und Wassersucht der Gehirnhöhlen hervorruft(Duchek) uud Westphal studierte diejenigen Formen mit be-sonderer Vorliebe, bei welchen zuerst das Rückenmark und erstsekundär das Gehirn ergriffen wird (aufsteigende Paralyse).Rokitausky bewies, daß die ursprüngliche Entzündung von einerBindegewebswucherung gefolgt wird, aus welcher sich eine Be-hinderung und Desorganisation der Nervencentreu ableitet. Esist selbstverständlich, daß diejenigen Teile der Gehirnrinde, in denenan die Stelle der Ganglienzellen Bindegewebe tritt, ihre hohenFunktionen nicht mehr erfüllen können. Von großem Interessesind auch die Untersuchungen von Tigges, der ans künstlichemWege eine Entzündung der Gehirnrinde zuwege brachte und danneine Kernvermehrung in den Ganglienzellen fand. Das Studiumdes feineren Baues der Gehirnrinde und der Veränderungen des-selben bei der Dementia xaral^tica, sowie bei einer Reihe andererKrankheiten, erfuhr in jüngster Zeit eine wesentliche Bereicherung