534 X. Geistes- und Nervenkrankheiten und gerichtliche Medizin.
gemacht hat, welche Tausenden sonst rettungslos Verlorenen dasLeben erhält, und daß andererseits das Leben des Einzelnen wenigervon allgemeinen Mißbilden, wie Krieg und Hungersnot bedrohtwird, als dies z. B. im Mittelalter der Fall war. Nichtsdesto-weniger haben die Erkrankungssälle an Paralyse so zugenommen,daß man von einem Umsichgreifen dieser traurigsten aller Geistes-krankheiten mit Fng nnd Recht sprechen kann. Es sind vielfachdie besten, die stärksten Gehirne, welche in der vollen Kraft desLebens ergriffen werden, und die Gründe dafür zu finden, ist un-gemein schwer. Ob der Alkohol, ob die Syphilis, ob die uugenügeudeRuhe, das fortwährende Angespanntsein aller geistigen uud körper-licheu Kräfte die Schuld an dem Umsichgreifen der Gehirnerweichungträgt, ist nicht zu entscheiden. Auffallend ist, daß in den aller-letzten Jahren die Paralyse der Frauen mehr propagiert als dieder Männer, ja von manchen Seiten wird sogar ein Stillstand,von anderen ein Rückgang der männlichen Paralyse behauptet. Esläßt sich schon denken, daß sich das Gehirn an die Schädlichkeitender Neuzeit langsam gewöhnt, nnd mithin die modernen Menschenmehr vertragen können, als ihre Väter, es darf aber auch nichtvergessen werden, daß in der zunehmenden Freude am Sport,in den immer mehr populär werdenden Erholungsreisen einGegengewicht geschaffen ist, wie es nicht besser gedacht werdenkönnte.--
Die junge Psychiatrie konnte anfänglich nicht recht vorwärtskommen, weil es ihr an einer Klärnng der Grundbegriffe fehlte;man machte ja in der pathologischen Anatomie schöne Fortschritte,mau verbesserte das Loos der Kranken und baute großartigeKrankenhäuser, aber um die Diagnose war es noch schlecht bestellt.Den ersten Schritt vorwärts machte Esquirol und zwar mitseiller klaren Unterscheidung der Hallucinatioueu und Illusionen.Jean Etienne Dominique Esquirol (1772—1840), war nichtnur der amtliche, sondern auch der geistige Nachfolger Piuels,dcsseu Lebenswerk er weiter ausbaute. Vor allem beschäftigte ersich damit, das Loos der Geisteskranken, in denen er körperlichKranke, nicht für irgend welche Sünden bestrafte Menschen sah, zubessern und wandelte seine Anstalt in Charenton zu einer Muster-