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Geschichte der organischen Naturwissenschaften im neunzehnten Jahrhundert : Medizin und deren Hilfswissenschaften, Zoologie und Botanik / von Franz Carl Müller
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568 ^- Geistes- und Nervenkrankheiten und gerichtliche Medizin.

nicht ganz verschont. Briquet, welcher eine große Anzahl vonhysterischen Fällen gesammelt hat, konnte ausrechnen, daß derProzentsatz der Männer etwa 5 beträgt. Derselbe Autor hat anchüber die hereditären Verhältnisse eingehende Studien gemacht undist mit Amauu zu der Ansicht gekommen, daß ungefähr 75°/^erblich belastet sind. Über den Zusammenhang der Hysterie mitSexnalleideu haben Scanzoni uud vou Frauque gearbeitet,dereu Ausichteu durch die Sektiousbefunde von Landouzy be-stätigt wurdeu. Eine große Rolle spielt die psychische Ansteckung,die überhaupt iu der Geschichte der Geistes- und Nervenkrankheitennicht zn unterschätzen ist. Wir kennen die Tanzwnt, die Spring-prozessionen, die Kinderkreuzzüge, die Convulsionen der Jausenisteu,die Predigtkrankheit der Lappen, haben vorzügliche Monographienvon Hecker, Willers, Jessen, Wretholm, Zillner, Velthuseuund lesen in einer Veröffentlichung von Hudson vom Jahre 1875,daß ans einem Auswaudererschiff, veranlaßt durch eine Hysterikaeine Endemie ausbrach, welche die meisten auf dem Schiffe be-findlichen Frauen ergriff.

Bezüglich des Sitzes der Krankheit haben die zahlreichen Unter-suchungen ergeben, daß es sich um eiueu Zustand von erhöhterReizbarkeit der sensiblen Abschnitte des Gehirues handelt, womitnatürlich unr eiue Theorie aufgestellt ist. Auch die AnsichtHammonds, daß eine Anämie der Hinterstränge vorhanden sei,kann nicht bewiesen werden. Die Symptome zu schildern, odervielmehr nachzusehen, wie mit der fortschreitenden Erkenntnis dasK^rankheitsbild deutlicher wurde, führte uns bei der Vielgestaltigkeitder Hysterie zn weit, nur soviel sei hier betout, daß die Schilderuugeuder französischen Autoren im allgemeinen ein weit ausgeprägteresund schwereres Kraukheitsbild zeigen, als wir es bei uns zu sehengewohnt sind. Die Arancls l^stsris uuserer westlicheu Nachbarnist etwas anderes als unsere Hysterie. Die Lähmungs- und Krampf-zustäude, die Veränderungen des Sehens uud Höreus sind im all-gemeinen bekannt, wir wollen uns darauf beschränken, die seltenerauftretenden Erscheinungen zu besprechen, so unter anderem auchdie Stigmatisation, bei welcher die Kranken Blutungen aus derHallt der Häude uud Füße, an der Brust und an der Stirne