Gerichtliche Medizin.
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die sich zu einer Wissenschaft auswachsen konnte, welche ihrerMutter weit über den Kopf gewachsen ist. Die heutige gerichtlicheMedizin hat besonders die Aufgabe, zweifelhafte Geisteszuständevor Gericht in einer Weise zu beleuchten, daß der Richter sich einUrteil ^bilden kann; ferner bei Verletzungen den Zusammenhangzwischen Verletzung nnd Folgeil oder tödlichem Ausgange nachzu-weisen, bei Unfällen die Folgeznstände genau zu präzisieren, dieLebensfähigkeit gefundener Kindesleichen zu bestimmen nnd dasAlter der betreffenden Leicheu zu testieren, resp, zu erklären, wielange die Kinder am Leben waren und welches die Todesursachewar, endlich in Nergistnngsfällen den Nachweis zu liefern, über-haupt in alle» strittigen Fällen der medizinische Beirat deS Stras-oder Civilrichters zu sein. Die Medizinalverwaltnng hat andereZiele zu verfolgen; deren Beamte kontrollieren die vom Staateangeordneten sanitären Gesetze (Impfung, Desinfektion), haben dieOberaufsicht über das wissenschaftliche und niederürztliche Personal,überhaupt dem VerwaltnngSbeamten zur Seite zu stehen. Wirunterscheiden in Deutschland Bezirksärzte (?ll)'8ioi) uud Land-gerichtsärzte, welch letztere dem Strafrichter zur Verfügung stehen.Die Beförderung derselben erfolgt nach Absolvierung eines Examensfür den ärztlichen Staatsdienst, in welchem nicht nur genaueKenntnis der Hygieine und Bakteriologie, sondern auch derPsychiatrie verlangt wird; zur Ausbildung in diesen Disciplinenwerden die Kandidaten auf ein Vierteljahr an den Sitz einerRegierung eiugerufen, in welcher Zeit sie so schwierige Gebiete, wiePsychiatrie und Hygieine erlernen sollen. Da dies nicht möglichist, so werden in zweifelhaften Fällen noch immer von den Ge-richten Fachpsychiater beigezogen, welche dann meist den Nusschlaggeben. Das Schwergewicht der Gerichtsärzte in Strafsachen liegtin der Sektionstechnik, in der Psychiatrie und in der Beurteilungvon Körperverletzungen, sowie in der Erkennung von Giftmorden,zu welchem Zwecke wiederum speciell ausgebildete Gerichtschemikergesragt werden. Man sieht, daß ein einzelner unmöglich alle dieschwierigen Gebiete beherrschen kann. — Die Arbeiten LombrosoShaben eine gewisse Unsicherheit in die Gerichtssäle gebracht, wovonwir früher schon sprechen konnten, aber es scheint auch hierin in-