586 X. Geistes- und Nervenkrankheiten und gerichtliche Medizin.
soferne eine Besserung eingetreten zu sein, als einerseits die extremenAnschauungen LombrosoS verlassen worden sind, andererseits sichauch unter den Richtern allmählich die Überzeugung Bahn bricht,daß es eine Reihe von Geisteskrankheiten giebt, welche der Laienicht erkennen kann. In der Klarlegung dieser Zustände sindKraepelin und Krafft-Ebing vorangegangen und haben damitden Gerichtsürzten einen großen Dienst erwiesen. —
Die gerichtliche Medizin, die nur ein einziges Institut inDeutschland (in Berlin ) hat, besitzt an den meisten deutschen Uni-versitäten unter den außerordentlichen Professoren einen Vertreter,welcher regelmäßige Vorlesungen zu halten verpflichtet ist, undauch Sektionen abhält. Zu den Borlesungen werden auch Juristenzugelassen, welche sich aber meist ebenso selten einsinden, wie dieMediziner, denen das Gebiet auf der Universität so fern liegt,wie die Geschichte der Medizin. Es werden die einzelnen Dis-ciplinen, mit denen die gerichtliche Medizin zu rechnen hat, d. h.aus denen sie sich zusammensetzt, immer selbständiger werden undsich mehr und mehr abspalten, so daß die Staatsarzneikunde trotzihrer eminenten Wichtigkeit an äußerer Wertschätzung verliert.Dies würde mit einem Schlage anders werden und dadurch auchgroßer Segen gestiftet, wenn in besonderen Jnstituteu die Ärzte sovorgebildet würdeu, daß sie vor Gericht thatsächlich ihrem schwerenBernfe vorstehen können nnd nicht auf die Hilfe der Tochter-Disciplinen nnd ihrer Vertreter angewiesen sind. —
Fassen wir kurz die Fortschritte, die in der gerichtlichenMedizin gemacht wurden, zusammen, so finden wir besonders, daßdie Sektionstechnik wesentlich an Ausbildung gewonnen hat. DerGerichtsarzt mnß ein geschulter Pathologischer Anatom sein, wasseiuer Zeit die medizinische Fakultät in Leipzig veranlaßte, beimMinisterinn: den Antrag zu stellen, daß alle im Königreich an-fallenden gerichtlichen Sektionen von zwei in Dresden nnd Leipzig stationierten pathologischen Anatomen gemacht werden sollten.Daß der pathalogische Anatom im gegebenen Falle auch spektro-skopische und bakteriologische Untersuchuugeu vornehmen muß, be-darf keiner weiteren Betonung. Von einzelnen Seiten wurde sogargewünscht, daß der Gerichtsarzt sich mit dem Tierexperiment ver-