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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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Einleitung.

desto mehr wird sich das bemerkbar machen: andere sehen die Dingeanders und sehen sie anders an. Selbst wo ich nicht urteile, wirdschon die Auswahl des Stoffes, das Nennen oder Nichtnennen vonNamen und Erscheinungen wie Urteil und Kritik wirken. DasWesentliche scheidet im Lause der Zeit die Geschichte selbst vomUnwesentlichen: je mehr ich mich der Gegenwart nähere, desto mehrmuß ich als Einzelner dies thun; schon deshalb wird die zweiteHalste größer sein müssen und subjektiver ausfallen als die erste.Aber der Schaden ist nicht allzu groß: ich trete damit vor Leser,die das alles auch miterlebt haben und kennen, ich setze mich dafür offenein und lasse ihnen das Recht frei, ihrerseits Kritik zn üben andem Kritiker des neunzehnten Jahrhunderts.

Und darum ist die wichtigste Frage doch nicht die nach demMaßstab, den ich an die Erscheinungen des Jahrhunderts anlege,wenn ich nur vielleicht uegativ sage, daß es nicht der einer be-stimmten Partei sein soll. Viel schwieriger ist die Vorfrage zubeautworteu, wo ich bei einem so uferlosen Unternehmen für Aus-wahl und Beurteilung auch nur den Stoff hernehme und finde?Man wird an Bücher denken, uud einem deutschen Professor liegtdieser Gedanke besonders nahe: er sucht das Leben nur zu gern imtoten Buchstaben und in gedruckten Lettern. Und es ist auch nichtso falsch: in Büchern leben die Probleme, Interessen und Ideen,die eine Zeit bewegen, fort, an sie muß man sich also in der Thatin erster Linie halten. Allein es ist doch nur die eine Hälfte: derGeist spricht nicht nur in Worten, er spricht auch iu Thaten. Undgerade da macht sich innerhalb, unseres Jahrhunderts selbst einUmschwung uud eine Verschiebung deutlich bemerkbar: seiue ersteHälfte ist litterarischer, sozusagen buchförmiger als die zweite.Gedruckt wird heute freilich noch viel mehr und, wenigstens wasZeitungen betrifft, auch mehr gelesen, und so haben wir noch immerallen Grund, mit Schiller über das tintenklecksende Säkulum zuseuszen und zu flucheu. In der Allgemeinen Deutschen Biographie,diesem großen Friedhof deutschen Geisteslebens, wo sie alle ein-gesargt werden, die etwas dazu beitragen, haben namentlich zuAnfang fast nur solche Männer Ausnahme gefunden, die etwasgeschrieben haben, die Männer der That treten erst in den späteren

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