Print 
Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
Place and Date of Creation
Page
7
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image
 

Einleitung.

7

Bänden etwas mehr hervor; und ebenso sorgen wir, weil wir die Bildungeines Volkes nach der Zahl der Analphabeten schätzen, vor allem dafür,daß unsere Kinder ja gewiß alle lesen und schreiben lernen. Aber besserist es damit doch geworden, uud das hängt mit einem Allgemeinenzusammen. Wir schätzen heute den Willens- uud den Thatmenschendoch ganz anders ein, weit höher als zu Anfang des Jahrhunderts,wo sich der Deutsche eines solchen Thatmeuschen als seines schlimmstenFeindes zu erwehren uud ihm vor allein seine Geistesbildung undIdeologie entgegenzusetzen hatte. Hier bedeutet iu unserem nationaleilLeben und Empfinden Bismarck, dieser große Willens- und That-mensch, einen Knotenpunkt, den wir bis tief in die Arbeit derPhilosophie herein spüren: auf den Intellektualismus ist der Volun-tarismus gefolgt; und wer ganz besonders scharfe Sinne hat, derkönnte vielleicht fragen, ob nicht hinter diesem schon wieder einneues Zeitalter, ein solches der Imponderabilien, der Stimmung unddes Gefühls im Anzug sei, das ja Bismarck für stärker und stand-hafter erklärt hat als den Verstand der Verständigen.

Aber Bücher oder Menschen? ist hier nicht die einzige Frage;eine zweite kommt alsbald dazn: Einzelne oder Massen? großeIndividuen oder breite Schichten? oder wie wir den Gegensatzheute zu sormulieren lieben: Genie oder Milieu? Es ist eineFrage der Geschichtsphilosophie, ob große Menschen Produkte ihrerZeit oder ob die Gcftaltuug der Welt um sie her ihr Produkt undsie die Schöpfer und führenden Geister derselben seien? DerKollektivismus entscheidet darüber anders als die individualistischeGeschichtsauffassung. Diese Frage beantworten hieße zugleich auch dasgroße Problem von Freiheit und Notwendigkeit, von individuellerSchuld uud individuellem Verdienst lösen. Das läßt sich aber hiernicht uur so nebenbei thnn, die beste Lösung dafür findet man nochimmer in Schillers Wallenstein, über den wir in diesen hundertJahren nicht hinausgekommen sind. Aber für unsere Zwecke hilftuus vielleicht ein Wort Hegels aus der Not:Wer, was seineZeit will und ausspricht, ihr sagt und vollbringt, ist der großeMann der Zeit. Er thut, was das Innere nnd Wesen der Zeitist, verwirklicht sie, nnd wer die öffentliche Meinung, wie er siehier und da hört, nicht zu verachten versteht, wird es nie zn