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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
Entstehung
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Die Aufklärung.

15.

den denkenden Geist der Zeit. In der Philosophie aber trafenzwei Ströme zusammen die Leibnizsche Monadologie mit ihremIndividualismus und ihrer optimistischen Hoffnung aus eine mög-liche Versöhnung von Glauben und Wissen, und der englische Empirismus Lockes, der in Frankreich zum Materialismus ver-gröbert wird, in Deutschland aber die Wolssche Metaphysik empiristischund sensualistisch zersetzt und so zur Bildung jener eklektischen Popular-und oommoii sense-Philosophie führt, die sür das Anfkläruugs-zeitalter so besonders charakteristisch ist und durch die einseitige undausschließliche Betonung des praktischen Endzweckes der Vervollkomm-nnng und Glückseligkeit rasch genng aushört wissenschaftlich zu seiu. Amuufruchtbarsteu mußte natürlich die Aufklärung auf dem Gebiete derPoesie sein, wo Gottscheds ästhetische Theorie ebenso nüchtern undverstandesmüßig war wie seine poetischen Musterbeispiele, iu denener die französische Regelmäßigkeit zum Vorbild uahm. Wenn Friedrichder Große Gellert für den bedeutendsten deutschen Dichter hielt, soentsprach das zwar durchaus dem Geschmack der aufgeklärten bürger-lichen Gesellschaft, deren Ton dieser treffen wollte nnd auch wirklichtraf, aber es begreift sich zugleich auch Friedrichs abschätziges Urteilcks lg littöraturs allsinaiicts, mit dem er 1780 freilich schou zuspät kam. Immerhin verdankt man den moralistischen Tendenzender Zeit die Pflege des Sittenromans und ihren liberalistischen dasAufkommen des bürgerlichen Dramas, dessen Thema vielfach dieMesalliance ist zwischeu Bürgermädchen und Kavalier.

Das Wichtigste war aber doch die Auseinandersetzung mit derTheologie. Die verschiedensten Standpunkte waren hier möglich.Leibniz hatte vermittelt, auch Wolf, den doch selbst Kaut alsUrheberdes Geistes der Gründlichkeit" rühmte, hatte eine übernatürlicheOffenbarung anerkannt, nur wollte er es der Theologie überlassen,sie im Judentum und Christentum als eine zugleich vernünftigeund unentbehrliche nachzuweisen. Aber wenn der Hauptgedanke derwar, daß auch die Theologie sich vor dem Forum der Vernunftzu legitimieren nnd hier ihre Ansprüche zu beweisen habe, so konntesich ja anch herausstellen, daß irrationale Elemente in ihr vorhandenseien, und dann ja dann war das Band zwischen Wissen undGlauben wieder einmal zerschnitten. So konnte denn auch Hermann