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1800 bis 1830: Die drei Weltanschauungen,
Samuel Reimarus in seiner Schutzschrist für die vernünstigen Ver-ehrer Gottes die positiven Religionen als ein Gewebe von Irrtum,Selbsttüuschuug uud Betrug bezeichnen, und davon nahm er selbstden Stifter des Christentums uicht ganz aus. Nuf diesem Stand-punkt wnrde die Aufklärung zu einer oft recht leidenschaftlichenGegnerin der positiven Religion, der sie — ganz unhistorisch —eine uatürliche mit den drei Gedanken Gott , Unsterblichkeit, Tugendals Norm gegenüberstellte. Atheistisch und materialistisch wie inFrankreich ist sie aber darum in Deutschland doch uie gewesen,Bahrdt und Edelmann mit ihrem Raditalismus uud der Haltlosigkeitund Zerfahrenheit ihres Lebens waren Ausnahmen und Karikaturenund galten in der Bewegung felbst als die sritants terridle8.
Indem aber die Aufklärung überall die natürlichen Normenund Regeln für Religion, Staat, Recht, Knust uud Poesie auf-gefundeu zu habeu glaubte, wnrde sie unhistorisch nicht in demSinn, als ob sie nicht mit Vorliebe Geschichte getrieben hätte; siehat sich sogar große Verdienste um dieselbe erworben, indem siesie von dem orthodoxen Schema und den theologischen Gesichts-punkten losmachte; sondern weil sie die Geschichte von anßen undoben her meistern wollte und ihre eigenen moralischen und in-tellektuellen ZNaßstäbe an sie anlegte; dabei kam natürlich das „dunkle"Mittelalter besonders schlecht weg. Uud zugleich wurde sie dadurcherfüllt vou jenein „ruchlosen" Optimismus uud Hochmut auf dieeigene Zeit, sie glaubte sich am Ziele, „wie wir es doch so herrlichweit gebracht"; ans dieser Aufklürungsstimmung ist auch SchillersApotheose des Menschen am Ende des achtzehnten Jahrhundertsheraus empfunden und gedacht.
So bedeutet die Aufklärung Emanzipation auf alleu Gebieten,zumeist aber von der Autorität der Kirche: das Leben und derStaat, die Wissenschaft nnd die Litteratur ist durch sie weltlichgeworden. Uud es ist eine Emanzipation des Einzelne», der jaganz energisch auf seine Vernunft und iu der Synthese mitRousseaus Gefühlsüberschwang anch auf sein eigenes Herz hin-gewiesen wird; ein Zng deS Subjektivismus und Individualismusgeht durch sie hindurch, der sich anch in dem unhistorischeuWesen der ganzen Bewegung ausspricht, weil er sich nicht binden