Der Klassizismus.
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wenn heute Chauvinisten und Banausen, Querköpfe und Para-doxesten von eiuer Entgleisung Goethes und einer AnsteckungSchillers dnrch diesen Goethcschen Klassizismus reden und darüberklagen, daß sie beide so gar klassisch und uudeutsch geworden seien,so bedauern sie es nicht nur, daß wir eine Jphigeuie und Helena-dichtung, eiue Braut vou Messiua oder Balladen wie die Kranichedes Jbykus und den Ring des Polykrates haben, sondern sie rüttelnebeuso auch am Recht und an der Schönheit von Hermann undDorothea , von Walleustcin und vou Tell; denn ohne Homer undSophokles ist auch dieses Herrliche in seiner klassischen Einfachheitund typischen Plastik, in seiner Jdeensülle und tragischen Kraftnicht denkbar und nicht möglich. Aber ums Jahr 1800 war dieserNeuhumanismus einstweilen nur das Vorrecht weniger Höchstge-bildeter, er war aristokratisch durch und durch; erst als Wilhelmvon Humboldt die Leitung des preußischen Unterrichtswesens zufiel,ist er neun Jahre später der Berliner Universität uud im Priuzipauch den preußischen Gymnasien einverleibt worden uud damit erst alsTeil und Ferment in die allgemeine deutsche Geistesbildung eingegangen.
So stehen Schiller und Goethe gerade als die Vertreter diesesklassischen Idealismus in dem Augenblick, wo das Jahrhundertanhebt, ciusamer da, als wir uns das heute vorzustellen im ständesind. Auch hier waren es uur die Meuscheu vou Geschmack, dieaufhörten au den nbgestandeucn Werken des AufklärungszeitaltersFreude zu haben; das Gros der Mittelmüßigen mit ihrem unaus-gebildeten Schönheitssinn ergötzte sich viel lieber an den Ritter-nnd Räuberromanen eines Spieß, Vulpius und Cramer oder anLangbeins plumpen und platten Nachbildungen von Boccaccio'sNovellen, an dcu zwischen moralisierender Teudenz und unmorali-scher Nührseligkcit hiu und her schwankenden, aber immer denGeschmack der breiten Masse treffenden Stücken von Kotzebue oder an denzwar fehr ehrenwerten und anheimelnden, aber immer nicht genialennnd oft recht prosaischen Dichtuugeu eines Voß uud Claudius,eines Schröder und Jsfland; niemaud hielt es für einen Raub,fie alle gelegentlich wie ihresgleichen neben oder gar über Schillerund Goethe zu stellen. Berechtigter war die weitverbreitete Schwär-merei für Jean Paul : in erster Linie war es freilich die träume-