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1800 bis 1830: Die drei Weltanschauungen.
klang solcher Stellen an Novalis ist unverkennbar, wie er ihn dennauch neben Spinoza feiert als „den göttlichen Jüngling, dem allesKunst ward, was sein Geist berührte, seine ganze Weltbetrachtungunmittelbar zu einem großen Gedicht"; und doch wie menschlichnüchtern und realistisch gedacht das alles im Vergleich zn demmagischen Idealismus jenes Poeten uud Phantasten!
Aber Schleiermacher ist auch historisch genug, nm die Vielheitder Religionen für notwendig zn erklären und sich der positivenReligionen gegen die dürftige und schemenhafte Idee einer allge-meinen Vernunft- oder natürlichen Religion anzunehmen. DasRecht der Eigentümlichkeit nnd Individualität bleibt darum demEinzelnen doch gewahrt und in jedem beginnt die Religion aufsneue als ein ganz Persönliches, auch wo man sich einemgrößeren Gauzeu anschließt, schreiben wir demselben „eine uner-gründlich tief ins einzelne gehende Bildsamkeit" zu, vermöge derenaus dem Schoß eiuer solchen gemeinsamen Sphäre Eigentümlich-keiten aller Art hervorgehen können; so gilt anch hier nicht Uni-sormität, sondern Eigenart.
Unter allen Religionen aber ist die christliche doch die höchsteund vollkommenste, ein allgemeines Entgegenstreben des Endlichengegen die Einheit des Ganzen, gegen das Universum, durch unddurch polemisch gegen alles Irreligiöse und Unheilige, uud derherrschende Tou aller religiösen Gefühle in ihr die heilige Wehmnt.Von ihr war Christus selbst erfüllt, getragen vom Bewußtsein derEinzigkeit seines Wissens nm Gott und seines Seins in Gott ; unddoch hat er nie behauptet, der einzige Mittler zu sein, der einzige,in welchem jene Idee sich verwirkliche, nnd ebenso verbietet dieBibel keinem andern Buch auch Bibel zu sein oder zu werden;denu nichts ist unchristlicher als Einförmigkeit zn suchen in derReligion.
Es ist ein gewaltiges Erbe, das unser Jahrhundert in diesemmerkwürdigen Buch vom vvrigen überkommen hat, ein Zukunfts-und Schicksalsbuch, das heute noch nicht ausgeschöpft und nichtveraltet ist, eiu Eckstein zugleich, au dem noch immer manche An-stoß nehmen nnd scheitern. Und darum ist es kein gutes Zeichenfür die religiöse Entwickelung im neunzehnten Jahrhundert, daß