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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
Entstehung
Seite
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1800 bis 1830: Die drei Weltanschauungen.

anderes als eine photographisch getreue Schilderung der Jugend-sünden Schlegels und seiuer intimsten Beziehnugen zu DorotheaVeit . Freilich darf mau auch die Kehrseite nicht übersehen. Garenggelmnden wie der Zopf, den sie trugen, war das Dasein derMenschen im achtzehnten Jahrhundert, philisterhaft und pedantischAnschauung und Leben. Man denke daran, wie sich Klopstock skandalisierte ob der harmlosen Stndeutenstrciche Goethes in Weimar ,wobei er ganz vergaß, daß ihm selbst von Bodmer iu Zürich seinharmloses sich Auflehnen gegen die Philistersitte dereinst in ähn-licher Weise verdacht worden war. Vor diesem Alltagsleben mitseinemZirkel von Gewohnheiten" graute erst den Stürmern uudDräugern, dann dreißig Jahre später den juugen Stiftern derromantischen Schule. Überall sahen sie nur die Prosa uud Alltäg-lichkeit, alles war beherrscht vom Nutzen uud vom Priuzip derÖkonomie. Nicht zum weuigsteu auch die Moral, wie sie in dieserWelt der Anfklürnng theoretisch und praktisch in Geltung war:die Nützlichkeit mißgönnte der Sittlichkeit sogar die Existenz, darumwar diese nnr eine Scheinsittlichkeit; ihr sollte daher ebenso wieder ganzen Scheinbildung ein Ende gemacht werden, in diesem Sinnklingt es doch nicht so ungeheuerlich, wenn Fr. Schlegel mit demWunsche spielt,eine Moral zu stiften". Nur war er der Mauuuicht dazu, aber neben ihm stand ja Schleiermacher , nnd auf die ver-trauten Briefe über die Lncinde folgten alsbald die Monologenmit ihrer neuen Ethik. Einstweilen aber galt es, sichüber alleBorurteile der Kultur und bürgerlichen Konvention hinwegzusetzen"und auchdie entfernteste Erinnerung an bürgerliche Verhältnisse,wie jede Art von Zwang" sich vom Leibe zu halten: darin warenim Grunde die Tieck uud die Schlegel uud die Brentano eins,und soweit es sich um die Polemik gegen die Moral des Zeitaltershandelte, konnte dem anch Schleiermacher nur zustimmen. Namentlichum die Ehe und um die Stellung der Frau war es übel bestellt;nicht ohne Grund läßt Goethe seine Jphigenie in die Worteansbrechen:

Der Frauen Zustand ist beklagenswert.Mit Recht spottet und klagt das Athenäum darüber, daßdieFraueu gleichsam mehr an Gott oder an Christas glaubeil sollen