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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
Entstehung
Seite
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1800 bis 1830: Die drei Weltanschauungen,

ihrer alten Pracht, jene mondbeglänzte Zaubcrnacht des romantischverklärten Mittelnlters, die wundervolle Märchenwelt eines KaiserOctavianus und einer heiligen Genoveva. Die Verherrlichung desMittelalters begann, und wenn sich die Neuhumanisten nach denGriechen sehnten und dieses Land der Schönheit mit der Seelesuchten, so priesen die Romantiker die Farbenpracht der mittelalter-lichen Ritter- und Sängerwelt, der altdeutschen Burgen und Städte.Uhland stellte sie in ausdrücklichen Gegensatz zu jenen und überjene, wenn er sagt:was die klassischen Dichterwerke trotz meineseifrigen Lesens mir nicht geben konnten, weil sie mir zn klar, zufertig dastunden, was ich in der neuen Poesie mit all ihrem rhe-torischen Schmuck vermißte, das faud ich hier (im Waltharilied):frische Bilder und Gestalten mit einem tiefen Hintergrunde, der diePhantasie beschäftigte und ansprach". Damit machte ja die Romautikzunächst nnr ein Unrecht wieder gut, das das AufklärnngSzeitalterin seiner prosaischen Nüchternheit und unhistorischen Vcrständnis-losigkeit an jeneu mittleren Zeiten begangen hatte. Sie hat demdeutschen Volk seine gotischen Dome und seine rheinische Maler-schule wieder lieb geinacht und ihm den Sinn für deutsche Art uudKunst erneuert; uud neben der Kunstgeschichte weiß die Germanistikund vergleichende Sprachwissenschast von diesen befruchtenden undbelebenden Einflüssen zu erzählen: des Knaben Wunderhorn erschloßunserem Volk uud seinen Dichtern den Jungbrunnen der Volks-lyrik, der lange verschüttet war, und besruchtete damit weithin dürresLand. Aber wie die Romantiker alles übertrieben, so auch das;ihre Vorliebe für das Mittelalter war nicht minder ungerecht unduuhistorisch als die Abneigung der Aufklärer dagegen. Und dochschließt der Vorwurf des Unhistorischen bei dieser widerspruchs-vollen Gesellschaft den entgegengesetzten nicht aus, daß sie damiteine Epoche des Historismus herausgeführt habcu, au dem unserganzes Jahrhundert krankte. Wir beugen uns vor der Macht desHistorischen und Gewordenen, des Überlieferten nnd Altherkömm-lichen, iveil wir müssen; im Wallenstein hat Schiller diese Machtdes Bestehenden geschildert:

Was grau vor Alter ist, das ist ihm göttlich!