Die Lehre vom Vertrag.
135
Schrift, den Couti-at sooial. Von den beiden Ideen, die sie be-herrschen, stammt die erste aus dem rationalistischen und kon-struktiven Geist der modernen Philosophie und Weltanschauung seitder Renaissance — eS ist die Lehre vom Vernunft- oder Natur-recht, das als Anssluß der vernünstigen Natur des Menschenabsolut gültig und für alle Menschen gleich verbindlich über allempositiven Recht .schwebt und als Maßstab au dasselbe angelegt,rücksichtslos als das einzig wahre uud gute Recht durchgeführtwerden soll: es ist somit international, von aller Geschichte unab-hängig, kritisch und gegen das Bestehende revolutionär. Und dasandere Grundetemeut dieser Theorie war die Lehre vom Vertrag,der aus dem Ende des Mittelalters stammende Glaube, daß derStaat auf einem Vertrag entweder historisch ruhe oder der Ideenach als auf einem solchen ruhend gedacht werden müsse und da-her iu seinem Bestand abhäugig sei vou der Zustimmung alleroder doch der Mehrheit der ihu konstituiereudeu Individuen.Wie damit der Grundsatz der Volkssonveränetät zusammenhängt,liegt auf der Hand; auch er bildet somit eiu uotwendiges Bestand-stück dieser ganzen Konzeption nnd zwar dasjenige, dnrch welchessie sich dem Liberalismus ganz besonders empfehlen mnßtc. Unddoch steckte in dieser Vertragstheorie auch da, wo sie es ausdrück-lich ablehnte, den bürgerlichen Gesellschaftsvertrag als eine geschicht-liche Thatsache zu behaupten und in ihm nur eine „Idee", einregulatives Prinzip zur Bestimmung des öffentlichen Rechtes sah,das alte unhistorische Wesen der Aufklärung. Außerdem aber warsie atomistisch uud individualistisch, sie stellte den Staat ans dieWillkür aller Einzelnen, verwechselte die volont6 A^n6ra1e mit dervoloirtö äs tvus, verkannte also seine Notwendigkeit und nahm ihnals ein Zufälliges, das sich ebenso wieder in seine Atome auflösenköune, wie es sich aus ihueu willkürlich zusammengesetzt habe.
Eben darum hatte dieser Gedanke vom Vertrag für die ganzeWelt der Aufklärung etwas Fascinierendes, auch Kant in seiner,freilich dnrch die nahende Altersschwäche von Verworrenheit undWidersprüchen nicht freien Schrift „metaphysische Ansangsgründeder Rechtslehre" ist darüber uicht hinausgekommen nnd hat ihr durchseiueAutorität uoch einmal uud aus lange hin einen starken Halt gegeben.