Druckschrift 
Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
Entstehung
Seite
157
Einzelbild herunterladen
 
  

Sprachwissenschaft.

157

gebildeten und in der Auslegung der alten Schriftsteller bewährtenmethodologischen Kriticismns nnd allem neu humanistischen Über-schwang gegenüber eine gewisse rationalistische Nerstandeskühle.

Böckh hatte sein Werk über die Staatshaushaltung der AthenerNiebuhr gewidmet,dem scharssinnigen nnd großherzigen Kennerdes Altertums"; denn auch dessen gelehrte Arbeit galt der Er-forschung deraltertiimlichen Menschheit". Aber Nicbnhr war auchnoch anderes, er war Staatsmann und preußischer Patriot, er warein großer Mensch und ein sittlicher Charakter. Der Haß gegenNapoleon gab ihm ein, die erste philippische Rede des Demostheneszn übersetzen, nm vor diesem größeren und gefährlicheren Philippzn warnen; dem Staatsmann rückte Staat nnd Politik in denMittelpunkt auch seiner gelehrten Arbeit, so wnrde er mit Not-wendigkeit Historiker; und an keinem Volke ließ sich in den Zeitender Not den Deutschen der Wert des Staates klarer vor die Augeuführen, als an dem römischen, dessen große Leistungen im Gegen-satz zu den Griechen aus dem staatlich-Politischen Gebiete lagen. Soentstand seine römische Geschichte, deren erster Band im Jahre 1811erschienen ist. Während Wols die Geschichte wesentlichals Dienst-magd sür die Erklärung der Schriftsteller" ansah, drehte Niebuhrdas Verhältnis geradezu um; nicht die Quellen sind ihm die Haupt-sache, sondern das positive Bild, das er aus ihnen mit Hilse seineshistorischen Blicks, seines in eigener staatsmännischer Arbeit ge-schärften Urteils und einer dnrch Verstand gezügelten und geleitetenPhantasie gewinnt. Demgemäß bestimmt er seine Ausgabe in derVorrede zum ersten Band seiner römischen Geschichte:Die Ge-schichte der ersten vier Jahrhunderte Roms ist anerkannt ungewißnnd verfälscht. Es wäre sehr thöricht, deswegen Livius zn tadeln,daß er sie dennoch, wenige Zweifel ausgenommen, als rein historischdargestellt hat; die Vortrefflichkeit seiner Erzählung macht seineRechtsertiguug, und auch in dieser Hinsicht war es sehr richtig, ihnmit Hervdot zu vergleichen. Wir aber haben eine andere Ansichtder Historie, andere Forderungen; und wir müssen es entwedernicht unternehmen, die älteste Geschichte Roms zu schreiben, odereine > ganz andere Arbeit unternehmen als eine notwendig miß-lingende Nacherzählung dessen, was der römische Historiker zum