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1830 bis 1848: Das junge Deutschland.
Alles das zusammen tritt vielleicht am klarsten bei Gutzkow in die Erscheinung, nachdem er Menzel den Dienst gekündigt unddie Führung des jungen liberalen Poetengeschlechtes übernommenhatte; nnd zugleich berührt er sich in diesen seinen Anfängen eigen-artig mit Friedrich Schlegel . Es war ein boshafter Streich gegendas Andenken des eben verstorbenen und ans dem Totenbett nochchristlich Posierenden Schleicrmacher nnd zugleich „ein kecker Schnßin die Stickluft dieser Tage" überhaupt, als er dessen „BertrauteBriefe über Schlegels Lucinde" mit einer die Emanzipation derEhe in starken Worten fordernden Vorrede herausgab und damitdessen Andenken doch einen besseren Dienst erwies, als es auf denersten Blick scheinen wollte. Und es war zugleich die Nechtsertigungseines 1835 erscheinenden Romans „Wally, die Zweiflern?": wieSchlegels Lneinde auch das ein schlechter Roman, aber ein Pro-gramm wie die Lueiude. Wenn wir heute das Buch lesen, nehmenNur keinen anderen Anstoß daran, als den, daß es ästhetisch ver-fehlt uud der Zweifel, unter dessen Wucht die Heldin erliegen soll,nicht wuchtig, uicht vertieft genug, die heikle Situation, in der dieSinnlichkeit zu ihrem Recht kommen soll, ganz uuauschaulich undunsinnlich ist und uns in ihrer Reflektiertheit kalt läßt und abstößt.Aber die Katastrophe war doch wahr, der Selbstmord der Wirk-lichkeit nacherzählt, fast wie in Goethes Werther, den Gutzkow auchwirklich — uur ohuc Glück — nachahmen und dem als dem Romander Empfindsamkeit er ein Buch blasierter uud hoffnungsloserZweifelsncht gegenüberstellen wollte. Wie nämlich Wally im Roman,so hatte am 29. Dezember 1834 Charlotte Stieglitz in Wirklichkeit ihrLeben dnrch Selbstmord geendigt. Ihr Main ?, anch einer vom jungenDeutschland , hatte als Dichter nicht gehalten, was der Jüuglinghatte hoffen lassen und das schwärmerisch liebende Mädchen vonihm erwartet hatte. Die Schuld an dieser seiner rasch eintretendenFlügellahmheit schrieb sie sich nnd den Fesseln der Ehe zu. Folg-lich war ihm zu helfen, wenn sie ging uud so jeucs hemmendeBand loste: ein großer Schmerz — man kannte das von Heine her sogut — gab ihm dann wohl zu sagen, was er fühlte und litt.So phantasierte sie sich ihr Opfer znrecht nnd täuschte sich dabeidoch uur selber über ihre wahreu Motive; denn ihr unbewußt war