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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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Tendenzen und Schicksale des jungen Deutschland ,

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es natürlich die eigene Enttäuschnng und Ernüchterung, der Zweifelam Talent ihres Mannes, was ihr, ihr selber für sich, das Lebenwertlos machte. Sie also war das leibhaftige Vorbild für denRoman Gntzkows, der darüber alsbald geschrieben hatte:seit demTod des jungen Jerusalem und dem Morde Sands ist in Deutsch-land nichts Ergreiseuderes geschehen, als der Tod der Gattin desDichters Heinrich Stieglitz . Wer das Genie Goethes besüße undes aushalten könnte, daß man von Nachahmungen sprechen würde,könnte hier ein Seitenstnck zum Werther geben." Wally war diesesSeitenstück, freilich ohne das Genie Goethes. Das Recht des Selbst-mords aber gehörte hinfort anch zu den Tendenzen dieses alleRechte heischcuden Poeteugeschlechts.

Dem Glauben an Goethe aber, den Börne uud Menzel diesenJungen und Liberalen zunächst zerstört hatten, ^gaben ihnen zweiandere Frauen zurück Rahel und Bettina. Nahel, die so langestill und bewegt" im Mittelpunkt des geistreichen Berlin gestandenund deren Nachlaß nun ein Jahr nach ihrem Tode 1834 ihrGatte Varnhageu von Ense zum Andenken sür ihre Freundeherausgab, lehrte diese pietätlose Jugend, daß man sehr kritisch seinund sich nach aller Art Freiheit sehnen und daneben doch zn Goethe,dem Dichter, dem Menschen emporsehen könne, und daß man zuihm emporsehen müsse, wenn man neben der Wirklichkeit das Poetischefesthalten und noch mehr, wenn man sich selber znr schönen Indi-vidualität emporbilden wolle. Uud die andere, die für Goethezeugte, war Bettina mit ihrem 1835 erscheinenden BuchGoethes Briefwechsel mit einem Kinde". Was thut diese Romantikerin mittenunter den Bekämpfern der Romantik? so könnte man fragen; dennwas Börne von ihr schreibt:nach vierzig Jahren kam Miguonwieder und nanute sich Bettiua", ist ja wahr: wie sie als Tochteraus dem Brentanoschen Hause und als Gattin Achim von Arnims dem romantischen Kreise durch Schicksal uud Wahl augehörte, sowar sie selbst romantisch durch und durch. Und doch, diese merk-würdige Frau war kein romantischer Petrefakt, feinfühlig und offenfür alles, warmherzig und begeisterungssähig lebte sie in und mitihrer Zeit weiter und wußte sich für die neuesten und modernsteil,also auch für die freiheitliche» Tendeuzeu derselben zu begeistern,