Hengstenberg.
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Glauben und Wissen gewütet und gezetert, ehe ihm ganz will-kommen in Strauß' Leben Jesu und Glaubenslehre die Konsequenzder beiden Standpunkte sich enthüllte. Mit dieser einfachen Nichtig-stellung der Daten enthüllt sich Dreitschkes Darstellung als derNietzschesche „Irrtum der Verwechslung von Ursache uud Folge".
Übrigens gilt Heugstcubergs Polemik nicht bloß Schleiermacher oder Hegel oder Strauß, sondern der ganzen theologischen Wissen-schaft überhaupt, für die dieser Mauu, der gauz Wille war, nie-mals Verständnis gehabt hat. Und es weist dies zugleich uochauf eine andere Art von Uuion hin, welche sich in jenen Jahrenvollzog, die zwischen Orthodoxie uud Pietismus . Eigentlich ein un-natürliches Bündnis, denn der Pietismus ist im Gegensatz zu derOrthodoxie entstanden und sein Verbündeter in diesem Kampfe war— daS anfängliche Verhältnis von Thomasius zn Francke ist dafürZenge — von Haus aus der Rationalismus. Aber wie uun dieser imLansc des achtzehnten Jahrhunderts immer siegreicher um sich griff undjenen beiden Gegnern gleichmäßig Abbruch that — mau deuke z. B. andie ratiouatistische Periode des Waisenhauses zu Halle —, da schlössensie sich jetzt, als sein Stündlein sich nahte und die religiöse Wieder-belebung sich spürbar machte, gegen den gemeinsamen Feind zu-sammen, die Orthodoxie wurde Pietistisch und der Pietismus wurdekirchlich. Der Vorteil war auf beiden Seiten klar: die Orthodoxieerstarkte und kräftigte sich inuerlich, der Pietismus wurde auseiner seelesiolg. xressg, eine Macht und wurde einflußreich. Alleinebenso deutlich traten auch die Nachteile in die Erscheinung: dieprotestantische Kirche wurde durch deu Einfluß des Pietismus gegendie Meinuug Luthers weltfremder, sinnenscindlicher, tultnrfeindlicher,und so spannte sich der alte Gegensatz zur „Welt" auss ueue, dasVolkslebeu wurde dadurch zerrissener nnd die Kirche durch diesemRücksall iu mittelalterliche Ideale in ihrer ganzen Existenz ge-fährdet; und der Pietismus brachte der Kirche die Allüren dereeelkLiolÄ, der Sekte: indem die Stillen im Lande zur Macht kamen,wollten sie nicht aufhören, die Stillen zu sein uud legtcu daherdas Schleichende, Gedrückte, deu Kleiuen-Leute-Geruch uicht ab;die mächtig gewordenen thaten so, als ob sie noch immer die Unter-drückten wären, und das gab ihueu dauu den Anschein des Hench-