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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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Strauß' Leben Jesu,

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Damit schien wirklich der Friede hergestellt, Glaubeil undWissen versöhnt zu sein. Und wenn Hegel das Christentum alsden Höhepunkt und Abschluß der geschichtlicheil Eutwickelungsreiheund damit als die absolute Religion anerkennt, nicht nur die Grund-gedanken desselben von der Entzweiung und Versöhnung des Menschenmit Gott, sondern sogar die Lehre von der Dreieinigkeit festhältund tiefsinnig spekulativ ausdeutet, so konnte er allerdings selberglaubeil, die Vernunft mit der Religion versöhnt zu haben undsich rühmeu, daß die Wiederherstellung der echten Kircheulehre vonder Philosophie ausgehe. Allein zwei Fragen blieben doch: warwirklich der Inhalt hier wie dort derselbe? die Unbestimmtheitseiner Aussagen über die Persönlichkeit Gottes, das Ignorieren desUnsterblichkeitsglallbens und die Verflüchtigung der biblischen Ge-schichtSerzählnngeil bedeutete doch mehr als bloße Formverschieden-heit. Und wie stand es mit dem Vorwurs, die Philosophie stellesich über die Religion? der Versuch Hegels ihn zurückzuweisen, dasie ja denselben Inhalt habe, scheitert an dem Zusatz:sie stelltsich so nur über die Form des Glaubens, der Inhalt ist derselbe".Das war doch wieder der alte Bildnngs- und Philosophenhochiilnt,der die positive Religion wenigstens der Form nach auf eine niedereStufe herabdrückte nnd durch die Erklärung der Unangemesfenheitihrer bildlicheil Aussageu und Geschichtserzählungen ernstlich ge-fährdete; wenll der Purpur fällt, muß hier auch der Herzog nach.Wenn das vielen entging, die froh waren ihr GlaubenSschifflein in diesemsicheren Hasen zu bergen, so hing das zum Teil damit zusammen,daß über die Rangordnung der drei Stufeil und Offenbarnngs-formen des absoluten Geistes: Kuust, Religion und Philosophie dieSchule selbst unter sich uneins war und von den sechs möglicheilPermutationen wenigstens vier in angenehmer Abwechslnilg benütztwurden: dainit schien es immer noch möglich, daß die Religion denersten Platz behaupte und einnehme.

Strauß' Leben Jesu.

Die Form der Vorstellung sollte die Zauberformel sein, durchdie der Streit zwischen Glauben und Wissen sür immer ge-schlichtet wurde. Sie erwies sich aber bald genug als die schärsste