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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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1830 bis 1848: Die religiöse Bewegung,

Waffe zum Angriff des Wissens auf den alten Glauben; mandurfte mir mit jener Unangemessenheit Ernst machen. Und dasgeschah im kirchlichenRevolutionsjahr" 1835. Denn setzen wirfürForm der Vorstellung" Mythus, so haben wir David FriedrichStrauß und sein Leben Jesu.

Der konsequente Rationalismus sah in Jesus einen Menschen undleugnete jegliches Wunder. Wie wurde er aber dann fertig mit den Be-richten des Neuen Testaments über Jesus und das, was er gethan hattennd was an ihm geschehen war, von seiner übernatürlichen Erzeugungan bis herab zu seiner Auferstehung uud Himmelfahrt und bis zu denWundern der Apostel? Es gab sür ihn zwei Wege. Die Radikaleren mau denke an Lessings Unbekannten, den Wolfenbütteler Frag-mentisten Herin. Sam. Reimarus hielten die Berichte für ab-sichtliche Täuschung und redeten von Betrug, den die einen aufdie Berichterstatter und die Apostel beschränkten, andere aus denReligionsstifter selbst ausdehnten. Die Gemäßigteren dagegensuchten die Wunder und Wunderberichte natürlich zu erklären undthaten dies in einer vielfach recht künstlichen und gewaltsamen,recht geschmacklosen und daher notwendig den Spott herausforderndenWeise. Überdies war das ganze Verfahren hier wie dort und dortwie hier durchaus unhiftorisch und unpsychologisch.

Da kam Strauß, der selbst durch den damals sportmäßiggeübten Glauben an das Wnnder hindurchgegangen war, abergerade hierbei, an Justinus Kerners Geistersehern und Dämonen-glauben Kritik zu üben gelernt hatte. Auch er stellt Jesus aufden rein natürlich-menschlichen Boden mit der spekulativen, derHegelschen Philosophie entnommenen Begründung, daß es die Ideenicht liebe und ihre Art nicht sei, ihre ganze Fülle in ein Exemplarauszuschütten uud gegen alle andern zu geizen; des Menschen Sohnsei nicht ein einzelner Mensch, sondern vielmehr die Menschheit imganzen.Das ist der Schlüssel der ganzen Christologie, daß alsSubjekt der Prädikate, welche die Kirche Christo beilegt, statt einesIndividuums eine Idee, aber eine reale, nicht kantisch unwirkliche,gesetzt wird. In einem Individuum, einem Gottmenschen gedacht,widersprechen sich die Eigenschaften und Funktionen, welche dieKirchenlehre Christo zuschreibt; iu der Idee der Gattung stimmen