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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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Strauß' Leben Jesu,

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sie zusammen. Die Menschheit ist die Vereinigung beider Natnren,der meuschgewordene Gott, der zur Herrlichkeit eutäußerte unend-liche und der seiner Unendlichkeit sich erinnernde endliche Geist; sieist das Kind der sichtbaren Mutter und des unsichtbaren Baters,des Geistes und der Natur; sie ist der Wnnderthäter, sosern imVerlaufe der Menschengeschichte der Geist sich immer vollständigerder Natur bemächtigt, diese ihm gegenüber zum machtlosen Materialseiner Thätigkeit heruntergesetzt wird, sie ist der Unsündliche, sof«rnder Gang ihrer Entwickelung ein tadelloser ist, die Verunreinigungimmer nur am Individuum klebt, in der Gattung aber und ihrerGeschichte ausgehoben ist; sie ist der Sterbende, Auferstehende undzum Himmel Fahrende, sofern ihr aus der Negation ihrer Natürlich-keit immer höheres geistiges Leben, aus der Aushebung ihrer End-lichkeit als persönliche», nationalen und weltlichen Geistes ihreEinigkeit mit dem unendlichen Geiste des Himmels hervorgeht."So bleibeuChristi übernatürliche Geburt, seine Wunder, seine Auf-erstehung und Himmelfahrt ewige Wahrheiten, so sehr ihre Wirk-lichkeit als historische Wahrheiten angezweifelt werden mag". Denndie Berichte über den Stifter des Christentunis zeigen uus über-haupt nicht deu Jesus der Geschichte, sondern den Christus desGlaubens und sind selbst Produkte des Glaubens, dessen liebstesKind bekanntlich das Wunder ist, sind Mythen, d. h.heilige Sagen,geschichtSartige Einkleidungen urchristlicher Ideen, gebildet in derabsichtslos dichtenden Sage", also nicht Schöpfungen von Betrügern,sondern Gebilde der unbewußt schaffenden Phantasie und Vor-stellungswelt der gläubigen Gemeinde. Nun war es sreilich, wieStrauß selbst ausdrücklich betont, nicht neu und nicht zum erstenmal,daß der Begriff des Mythus auch auf Christliches angewandt wurde;aber neu war das Verständnis für das Wesen des Mythus , wie esHegel herausgearbeitet hatte, und für die Mythologie, die eben damalsdie Geister lebhaft beschäftigte man denke 'an Crenzer und Banr; unduuerhört war, daß sämtliche Erzählungen des Nenen Testaments, dasganze Lebeu Jesu in der Überlieferung desselben,ihr ganzer Ver-lauf" es sich gefallen lassen mußte, diesem Begriffe unterstellt undaus ihn hin angesehen zu werden, und daß nicht nnr fast alle,sondern daß gerade auch diejenigen neutestamcntlichen Erzählungen