Print 
Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
Place and Date of Creation
Page
205
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image
 

Strauß' Leben Jesu.

205

an den Berichten über dieses Leben: und überdies mußte auch zu-erst der Glaube an den Inhalt der biblischen Überlieferung erschüttertwerden, ehe man daran gehen konnte und wollte, den Zweifel ans dieBerichterstatter auszudehnen. Dieser Weg war nicht der methodo-logisch richtige, aber er war historisch notwendig und psychologischnatürlich, deun er war im Gang der theologischen Arbeit be-gründet. Stolz-bescheiden hat Strauß selbst einmal darüber ge-sagt:meine Art war für den Ansang gerade angemessen undnatürlich, und ohne meinen Vorgang ständen die Tübinger heute(1846) gewiß noch nicht da, wo sie stehen".

Kaum ein anderes Buch hat in unserem Jahrhundert eineähnliche Wirkung hervorgebracht wie das Straußsche Leben Jesn.Es war der volle Eindruck des Schreckhaften, nnd so übersah manzuerst völlig den großen Dienst, den Strauß der Theologie selbstdurch die Beseitigung der rationalistischen Erklärnilgen und derorthodoxen Vertuschungs- und Vermittlnngskunststücke und durchdie Anbahnung einer historischen und auellcmnäßigen Erforschung derGrundlagen des Christentums geleistet hat, man vergaß, wie Holtz-mann es noch umfassender nnd ganz besonders treffend formuliert,die Wohlthat, daß die trüben und seichten Gewässer jener roman-tischen und doch so thatenlosen Zeit verweht worden sind durchden rauhen aber belebenden Frühlingswind dieser StraußischenKritik, die die sittliche und wissenschaftliche Notwendigkeit geltendmachte, zu vielen Dingen Nein, statt gedankenlos zu allem Ja zusagen". Vielmehr sah man in ihm nur den Feind und Frevler,der am Heiligen rührte und schickte sich darum alsbald zu leiden-schaftlicher und deshalb sachlich meist recht wenig sördernder Ab-wehr an. Daß er seines Amtes als Repetent am Tübinger Stiftentsetzt wurde, versteht sich nach den kirchlichen Usancen des Nenn-zehnten Jahrhunderts von selbst. Und dann kamen die Gegen-schriften von den Altgläubigen uud Pietisten, den Halbglüubigenoder Suprauaturalisten, den Rationalisten und den rechtsstehendenHegelingen, die eben noch den Traum der Versöhnung von Glaubenund Wissen geträumt hatten und nun so nnsanft daraus emporgerüttelt wurden: fie vor allem mußten ihre Unschuld an diesemungeheuerlichen Friedcnsbruch versichern. Nur Hengstenberg jubilierte.