Die innere Mission.
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Mission das Reich Gottes bauen zu helfen. Er wird insbesonderebestrebt sein, solche Gebiete des Volkslebens, die der Wirkung desEvangeliums entzogen sind, demselben wieder zu offnen, die Werkechristlicher LiebeSthätigteit anzuregen, isolierte Bestrebungen dieserArt miteinander in Verbindung zu setzen und mit Rat und Thatihnen zu dienen." Dazn kam von pietistischer Seite her einHeiligungSstrcben im Geiste des mittelalterlichen Katholizismus,Verdieneuwollcu und Werkgerechtigkeit. Und das alles wirkte dannzusammen zur Gründung von allerlei christlichen Gesellschaften zumZweck werkthätiger Erweisung des neuerwachten Glaubenseifers.Einzelne Männer gingen voran und zeigten sich von demselbenGeiste beseelt; und so tragen Wicherns rauhes Haus bei Hamburg ,Fliedners Diakonissenhaus in Kaiserswerth , Gustav WernersRettungsanstalten iu Neutlingeu von Ansang an jenes allgemeinchristliche Gepräge ohne ausgesprochene konfessionelle Färbung. Essind dies Schöpfungen, in denen sich die Wiedererneuerung undErstarkung eines tieferen religiösen Lebens besonders erfreulich offen-barte und durch die im Norden und Süden unseres VaterlandesGroßes geleistet, viel Gutes uud Bleibendes ins Werk gesetzt wurde.Heute würde mau vou praktischem Christentum und christlichemSocialismus reden; aber es ist doch nicht nur ein anderes Wort,wenn man- es damals „innere Mission" nannte. Der Nachdrucklag auf der Wiedergewinnung Abgefallener und Verlorenerfür das Christeutnm, die Arbeit war specifisch christlich. Ebendarum ist auch jene Verbindung des Pietismus mit der Orthodoxieund dem Landeskirchentum, wovon schon die Rede war, nicht spurlosan dieser Arbeit vorübergegaugeu, sondern hat ihr immer mehreinen unerfreulichen und einseitigen Stempel aufgedrückt, hat auchin sie nach Rothe's treffendein Ausdruck viel „Essig gegossen".Und überdies ist dadurch viel Scheiu- und Henchelwesen in jene An-stalten und Vereine und in das Wirken derselben hineingekommen;denn die Macht verdirbt zwar nicht notwendig den Charakter deseinzelnen, aber sie verdirbt stets die Religion; ein Zng der Unduld-samkeit und Ausschlieszlichkeit entstellte bald auch diese Liebesthütig-keit der „Frommen" nnd machte das Wirken der „inneren Mission"den Freigesinnten über Gebühr verdächtig nnd antipathisch.