Der Katholizismus um die Wende des Jahrhunderts.
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dem Cölibat war es die Unauflöslichkeit der Ehe und der Marien-kultus, die von katholischen Theologen selbst z. B. von Werkmeister1823) heftige Angriffe erfuhren. In Bayern , wo das Volk nocham tiefsten in Aberglauben und Unwissenheit versunken war, kamdie Aufklärung von oben: der Minister Montgelas , der einen vonder Kirche unabhängigen modernen Staat erst schaffen mußte, suchtedurch Hebung und Neuordnung des Schulwesens das Volk auf-zuklären und von Aberglauben frei zu machen. Und endlich vollzogsich auf diesem Boden eines aufgeklärten Jndifserentismns aucheine Annäherung zwischen Katholizismus und Protestantismus , dieich einmal in aller Naivetät in der Unterschrist eines aus demAnsang des Jahrhunderts stammenden Tausscheins konstatierenkonnte: „katholischer und auch lutherischer Psarrer zu —" nanntesich der katholische Ortspfarrcr, der auf diese Weise den paarProtestanten seiner Gemeinde den weiten Weg in das nächsteprotestantische Dorf ersparen wollte. Die mit dem Pietismuszusammenhängende evangelische Bewegung und ..Erweckung"bayerischer Gemeinden durch Boos und Goßner richtete sich erstgegen einen „rationalistisch angewehten" Katholizismus und führtedann ihrerseits zu freundlichen Beziehungen nnd einer gewissenAusgleichung zwischen Katholiken und Protestanten.
Zu solcher inneren Lockerung und Lösung des starr sich ab-schließenden Katholizismus kamen dann noch von außen her dieschweren Schläge, welche die römische Kirche und den Papst durchdie französische Revolution und dnrch die verschiedenen Akte derGewaltthätigkeit Napoleons trafen. Und doch hat gerade diesergroße Realist, der wie alle Realisten die Macht der Kirche und derkirchlich religiösen Ideen unterschätzte, durch Vernichtung desGallikanismus in Frankreich, ähnlich wie Ludwig XIV. , widerWillen zur inneren Erstarknng derselben beigetragen. Anch daß erPins VII. zum Gefangenen nnd Märtyrer gemacht und ihm Ge-legenheit zur Entfaltung großer Standhaftigkeit gegeben hat, ist fürdie Kirche ein Gewinn gewesen. In Deutschland aber wirkte imselben Sinn und nach der gleichen Richtung hin die Nomantikmit ihrer Vorliebe für das Mittelalter und für die von ihr freilichrecht unhistorisch gedachte Frömmigkeit desselben. Der Übertritt so