Erwachen des Natwnalgefi'chls.
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mit solch einseitigem Maßstab messenden Richtersprüche waren undso ermüdend auf die Daner sein polternder Ton nnd seine alleKnnst der Darstellung verschmähende Geschichtschreibung wirkte,Einfluß gewann sie doch. In dieser allen Mystizismus energischablehnenden Denkweise sah das liberale Bürgertum den krästigenProtest gegen die Romantik: und als er vollends das achtzehnteJahrhundert selbst zum Gegenstand einer ausführlichen Darstellungmachte und dabei schonungslos über die Maitressenwirtschaft undVerschwendung der deutschen Fürsten nnd über die Bedrückung undAusbeutung ihrer Länder sprach, da durfte er des Beifalls allerliberalen Philister gewiß sein. Weil ihm alle höheren Gesichts-punkte fehlten und alle tieferen Zusammenhänge verborgen blieben,imponierte seine Geschichtsdarstellung dem gesunden Menschenverstand.Aber es lag doch ein Berechtigtes in dieser instinktiven BevorzugungSchlossers vor Ranke: das achtzehnte Jahrhundert warnte in ihmnoch einmal das neunzehnte vor dem Hereinfallen auf den roman-tischen Historismus, desseu größter Bertreter Ranke ist.
Faßt man die drei letzten Bände der 1870 erschienenensechsten Auflage von Schlossers „Weltgeschichte für das deutscheVolk" ins Auge, die als Nachtrag und Fortsetzung den „Versucheiner Darstellung neuester Geschichte" von Oskar Jäger bringen,so zeigt sich hier an Stelle der ästhetischen Auffassung Raukes undder moralisierenden Tendenz Schlossers eine dritte, die politisch-nationale; nnd auch sie bahnte sich schon vor dem Ausbruch derRevolution an. Nach Nicbnhr, von dem schon in anderem Zn-sammenhang die Rede war, ist ihr bedeutendster Vertreter Dahlmann,der mit gelehrter historischer Forschung publizistische Thätigkeit ver-band und die erstere geradezu in den Dienst praktisch-politischerBethätigung stellte. Er wollte durch sie auch bei anderen „ein be-sonnenes politisches Urteil fördern uud für die notwendigen Kämpfeder Zeit den Entschluß krästigen". Dabei war er ein Liberaler, dasHaupt der Göttinger Sieben, aber durch seine Stndien war seinLiberalismus historisch begründet uud vor allem unhistorischenRadikalismus geschützt. Endlich fallen in die vierziger Jahre auchfchon die Anfänge Sybels, der zuerst durch sein Werk über denersten Kreuzzug der romantischen Überschätzung des Mittelalters