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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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1848 bis 1871: Die Reaktion der fünfziger Jahre.

Persönlichkeit. Man kennt ihn gewöhnlich nnr als den feinsinnigenVersasser einer unserer trefflichsten Darstellungen der deutschen Litteraturgeschichte. Aber, wie Sybel ihn richtig charakterisierte,die Hitze der religiösen Leidenschaft, die sich bei ihm wie beiHassenpslug allmählich zn fanatischer Glut steigerte, verzerrte undverdüsterte bei ihm Einsicht und Phantasie. Er war überzeugtdavvn, mit einem der Dämonen leiblich gerungen zu haben underklärte einer ihn anstaunenden Pastorenkonferenz, nnr der verdieneden Namen eines Christen, der einmal mit Satan gekämpft, uichtfigürlich, sondern wie er körperlich, Faust gegen Faust, Stirn gegeuStiru, Zahn gegen Zahn. Es war bei solchen Meinungen keinWunder, daß er zur Ausrottung des Bösen die Heiligen des Herrnmit allen Waffen ausrüsten wollte"; und da nach seiner AnschauungDemokraten und Ungläubige zusammenfiele», so arbeiteten sich derherrschsüchtige Minister nnd der herrschsüchtige Hierarch gegenseitiganfs beste in die Hände. Zur Nemesis und Ironie der Geschichtegehörte es dann freilich, daß Hassenpslug über Vilmar stolperte undstürzte. Dem Kurfürsten war der hochmütige und sittenstrenge Vilmarzuwider, der ihm im entscheidenden Augenblick einmal wie einProphet des alten Bundes drohend und sieghaft entgegengetretenwar, und so weigerte er sich seine von Hassenpslug eifrig betriebeneWahl zum Generalsnperintcndentcn zu bestätigen: darüber sielenbeide. Hassenpslug zog sich ins Privatleben zurück, Vilmar abervertrat als Professor der Theologie in Marbnrg seine kon-fessionalistische nnd katholisierende Richtung ebenso leidenschaftlich,wie er sie vorher Praktisch in der kurhessischen Kirche bethätigt undzur Herrschaft gebracht hatte.

Auch iu Preußeu dachte, wie in Knrhessen Hassenpslug, dieKamarilla, die sich um den König her bildete und ihn mehr undmehr nach ihrem Willen regieren ließ es standen immer nochdie Gebrüder von Gerlach oben an, an die Aushebung der Ver-fassung, die der König in den Stürmen der Revolution inhaltlichfreisinnig aber formell eigenmächtig octroyiert hatte. Allein trotzihrer Sophismen, durch die sie ihn seines Eides ledig sprechenwollten, hielt er sich iu religiöser Ängstlichkeit daran gebunden undschrak daher vor diesem Äußersten zurück. Konstitutionell hat er