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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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1848 bis 1871: Die Reaktion der fünfziger Jahre.

einer übersinnlichen verbessern zu wollen schien ihm Anmaßungund Eitelkeit, also unmoralisch, daher mache der Materialismusoder wie er lieber will, der Sensualismus Anspruch auf tiefereechtere Sittlichkeit. Die schwächste Seite des Materialismus abererkannte er in der Deutung uud Erklärung des Bewußtseins nndSelbstbewußtseins, deshalb suchte er das letztere durch eine in sichselbst zurücklaufende Bewegung des Nervenflnidums begreiflich zumachen. Daß damit die Kluft zwischen Bewegung und Empfindungdoch nicht ausgefüllt wäre, hat er freilich uicht gesehen, ganz abgesehendavon, daß sich ein solcher Kreislauf im Gehirn thatsächlich nichtnachweisen läßt. Später an seiner eigenen Hypothese irre werdend,hörte er ehrlicher Weise auf Materialist zu sein.

Czolbe hatte dem Materialismus eine Zeitlang aus ethischenGründen den Vorzug gegeben. Anch die anderen Materialistensprachen sich über das Verhältnis ihrer Metaphysik zur Moral ausund waren vielfach Vorkämpfer politischer Freiheit und allgemeinhumaner Forderungen. Darin lag dem Zeitbewußtsein gegenüber ihreStärke. Daneben zogen sie aber anch hierin widerspruchsvoll undvoreilig allerlei ethisch bedenkliche Konseqnenzen oder gaben unver-fänglichen und richtigen Gedankeil eine herausfordernde uud eynischeFormulierung, namentlich die sittliche Verantwortlichkeit glaubtensie als konsequente Deterministen ablehnen zu müssen. Das warenfreilich die unvermeidlichen Kinderkrankheiten dieser wieder neu ent-deckten Weltanschauung, die aber doch in einem gewissen Zusammen-hang standen mit dem allgemeinen Unbehagen und dem Unglaubender Zeit an sich und an das, was in ihr bestand uud heilig gehaltenwurde. Einen socialistischen Zug in diese materialistische Richtungbrachte vor allem Moleschott durch seineLehre der Nahrungsmittelfür das Volk"; in ihrer Besprechung brauchte Feuerbach das viel-berufene Wort:Der Mensch ist, was er ißt." Es war nicht sowohlmaterialistisch gemeint gerade an Moleschott wurde sich Feucrbachvielmehr seines Unterschieds von dem landläufigen Materialismusbewußt:Der Materialismus ist für mich die Grundlage des Ge-bäudes des menschlichen Wesens und Wissens, aber er ist für michnicht, was er für die Physiologen, die Naturforscher im engerenSinne, z. B- Moleschott ist, und zwar notwendig von ihrem Stand-