Schopenhauer.
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auch ihre Wirkung so sehr viel mächtiger und eindringlicher als dieder anderen Künste; denn diese reden nur vom Schatten, sie abervom Wesen, sie allein spricht das innere Wesen, das Ansich derWelt aus. Gelänge es daher, eine vollkommen richtige, vollständigennd iu das Einzelne gehende Erklärung der Musik zu geben, somüßte diese auch sofort eine genügende Wiederholung nnd Er-klärung der Welt iu Begriffe» oder einer solchen ganz gleich-lautend, also die wahre Philosophie sein. Es ist klar, wie dieseTheorie aus ganz persönlichen Empfindungen und Bcdürsuisseuherausgewachsen ist. Im Philosophieren und im ästhetischen, vor allemim musikalischen Genießen fand Schopenhauers nie befriedigtesStreben auf Augenblicke Ruhe uud volles Genügen, fand seineeigene geniale Persönlichkeit den ihr angemessensten Ausdruck. Uudwie nach rückwärts die Beziehung dieser Theorie zur Romantikuud romautischeu Philosophie, so begreift sich nach vorwärts auchdie freudige Aufnahme, welche Schopenhauers Lehre bei RichardWagner uud dessen Anhängern sinden mußte: auch dafür kam siegerade zur rechten Stunde.
Nun ist es aber wieder eiuer jeuer zahllosen Widersprüche,daß in der Moral Schopenhauers das Individuelle, das eben nochals Genie so voll gewürdigt worden war, plötzlich in eine ganzandere, ungünstige Beleuchtung tritt. Dicht vom Schleier derMaja umhüllt seiu uud bleiben, befangen sein im xrinoixiuvriricliviclnationis, seine Person von jeder anderen als absolut ver-schieden und dnrch eine weite Kluft getrennt ansehen — das istdas Wesen des Bösen. Daneben regt sich im Innersten des Be-wußtseins die geheime Ahnung, daß eine solche Ordnung der Dingenur Erscheinung sei, daß, so sehr auch Zeit uud Raum dcuMenschen von anderen Individuen und deren unzählbaren Qnalen,die sie leiden, ja teilweise durch ihn leiden, trennen und sie alsihm ganz fremd darstellen, dennoch an sich der eine Wille zumLeben es ist, der in ihnen allen erscheint, daß er, der Böse, ebendieser ganze Wille, folglich nicht allein der Quäler, sondern auchder Gequälte ist, — kurz es regt sich in ihm das Mitleid, das,im Gegensatz zum Egoismus, die sittliche Triebfeder ist. Ausdiesem Gefühl, aus dem allem fremdeu Leiden gegenüber sich ein-