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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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1848 bis 1871: Die Reaktion der fünfziger Jahre.

des NcstaurationSgeistes, die absolute Formel des politischen Kon-servatismus, Quietismus und Optimismus". So ist dieser An-griff auf Hegel ein Angriff auf die Reaktion, und darum das Urteilüber Hegel einseitig und vielfach ungerecht; nicht ungerecht aber dasGanze als ein auf die Zeit berechuetes und darum durchaus zeit-gemäßes Buch. Die Hegelsche Linke mit ihren liberalen und pro-gressiven Tendenzen war unterdrückt und auseinandergesprengt, undso lebte in diesem Augenblick vom Hegeltum wirklich nur noch diereaktionäre uud qnietistische Seite, und gegen sie richtete Haymdoch mit Fug und Recht die elegant geschliffene Waffe seines geist-reichen Spottes. Die wohlgezielten Stöße gegen Hegel trafen dieReaktion, und es war der Politiker, nicht der Philosophicprosessor,der sie führte. In dieser Ablehnung Hegels traf Haym durchausmit Schopenhauer zusammen, der sich ja nicht genug thun kannin den erbittertsten Ausfüllen auf den Charlatan und Afterphilo-sophen. Aber wenn wir hören, daß dieser letztere gerade die Seiteder Hegelschen Philosophie, welche ihre fortschrittliche und freiheit-liche Tendenz znm Ausdruck bringt, die geschichtsphilosophische alsgeistesverderbliche und verdummende Afterweisheit" bezeichnet unddeshalb die Hegelianer alseinfältige Eudämonistcn, Optimistenund Realisten", alsglatte Gesellen, eingefleischte Philister undschlechte Christen" abkanzelt, so will er uns selbst im Lichte einesReaktionärs und Vertreters des ewigen Stillstandes erscheinen, wo-zu ja auch sein Jubel über die Maßregelung von Moleschott undBüchner stimmt, dessen Bücher er alskraß, unwissend, roh, plump,ungelenk, überhaupt knotenhaft" freilich philosophisch nicht ganzunrichtig beurteilt hat. Haym aber lehnte in den sechziger Jahrennun auch Schopenhauer aufs bestimmteste ab, gerade weil er in ihmaufs ueue einen Philosophen der Reaktion und in seiuem Pessimis-mus die Gefahr für alles mutige und hoffnnngsfrohe Vorwärts-schreiten erkannte.

Bezeichnend aber ist doch, daß wir Deutsche in der Poesie zwarviel Pessimismus, aber doch keinen eigentlichen Klassiker der pessi-mistischen Weltanschauung haben. Gewiß ist auch hier noch einmalHeine zu ucnnen mit seiner Poesie voll Zerrissenheit nnd Welt-schmerz; denn Heine ist wie Schopenhauer eiu Spätling der Romantik,