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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
Entstehung
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Eduard von Hartmcmn.

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weltcrlöseuden Majoritätsbeschluß.Wir, die wir in Natur undGeschichte nur einen einzigen großartigen und wundervollen Ent-wickeluugSProzeß erkennen, wir glauben an einen endlichen Sieg derHeller uud Heller hervorstrahlenden Vernunft über die zu über-windende Unvernunft des blinden Willens, wir glauben an einZiel des Prozesses, das uns die Erlösung von der Qual des Da-seins bringt und zu dessen Herbeiführnng uud Beschleunigung anchnur im Dieuste der Bernnnst unser Scherslein beitragen können."So biegt der Pessimismus leise um in Optimismus und endetin Glauben und Hoffnung. Aber der Jubel wird noch größer,das Ziel ein noch weit höheres. Nicht nur nus selbst, deu Menschenoder Übermenschen soll jener Entschluß und Beschluß zu gutekommen, sondern durch ihn soll auch Gott, d. h. das Absolutevon der Uuseligkeit erlöst werden, in welche er durch deu unver-nünftigen Drang seines Willeus uach Dnsein dereinst geraten sei.Alle Sittlichkeit ist somit Mitarbeit an der Abkürzung des Leidens-weges, aus den sich Gott im Weltprozeß eingelassen hat; hinter demWeltschmerz steht als das Tiefere der Gottesschmerz, hinter derWelterlösung als das Höhere die Gotteserlösung.

Man hat diesen von Hartinann noch 1879 in derPhänomeno-logie des sittlichen Bewußtseins" vorgetragenen Schlußgedanken blas-phemisch finden wollen. Allein in der Philosophie giebt es keineBlasphemien. Wohl aber finde ich ihn lächerlich, das Satirspielzu der Tragödie einer pessimistischen Entwickelungsreihe. EineMajorität von Lebewesen, die eines schönen Morgens sich entschließt,nicht mehr leben zu wollen nnd sich davon verspricht, daß nunwie mit eiuem Zauberschlage die Welt verschwiudeu und sich insNichts zurückziehen werde, eine solche Majorität wäre allerdingswert nicht mehr zn sein, sie wäre reif fürs Tollhans. DieserSchluß ist aber zugleich die beste Selbstkritik des Systems, das vonAnsaug an voll von Widersprüchen ist: ein Unbewußtes, das ver-nünftig und unvernünftig zugleich ist, dem entspricht nachher derPessimismus, der zugleich optimistisch ist, eine sittliche Mitarbeitund eiu sittlicher Fortschritt pro niliilu, ein geschichtlicher Ent-wickelungsgang, der dem Thun der Penelope gleicht, die im Dämmer-lichte der Illusionen den Schleier der Maja webt, um ihn in der