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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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Der Regierungswechsel und die liberale Aera .

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gar und gab ihm den notwendigen Mittelpunkt:das preußischeWesen, die Preußische Macht, das Preußische Heer ". Von da auswar ihm auch klar, daßPreußeu bestimmt sei, an die SpitzeDeutschlands zu kommen, das liege in seiner ganzen Geschichte".Das brachte ihn immer ausS ueue in Konflikt mit seinem Bruder,in Gegensatz zu dessen Politik und in offene Opposition gegen dieihn znlctzt immer enger umstrickende Kamarilla. DerKoblenzerHof" galt deshalb für liberal, und war es auch, sofern der Prinzvon dort ans mit dem liberalisierenden Prinzgemahl in Engtandund den Altliberaleu unter Bethmann-Hollweg Fühlung suchte undehrlich an der Verfassung festhielt, wenn sie ihm auch anfänglichzu liberal gewesen war.

Der Prinzregent entließ sofort das ReaktionsministeriumMnntenffel-Westphalen-Raumer nnd berief zum crsteu und bis jetzteinzigen Mal liberale Mäuner au das Ruder des PrenßifchenStaatSschiffs; und auch seine Ansprache an die neuen Minister vom8. November 1858 klang liberal, so energisch auch das Königtumvou Gottes Gnaden am Schluß betont wurde. Mau hielt sich vorallem an seine Verurteilung der Orthodoxie mit ihrer Heuchelei undScheinheiligkeit und der kirchlichen Übergriffe, denen er auf protestan-tischer Seite die Union und ihre Erhaltung als notwendig entgegen-stellte. Anch das Wort von den moralischen Eroberungen Preußens in Deutschlaudzunächst dnrch eine weise Gesetzgebung imInnern und durch Ergreifung von Einignngsclemcnten, wie derZollverband es ist", schlug ein. Die Wahlen zum Abgeordnetenhansgaben dem Prinzregenten die Antwort auf seine Programmrede, undsie fiel durchaus zustimmend aus. Wieder einmal knüpften sich diehöchsten Erwartungen an den Thronwechsel.

Wie es gekommen ist, daß diese neue Ära nur von kurzer Dauerwar und durch ihre Unbeholfenheit nnd Unsicherheit, ihre Unfrucht-barkeit uud Ergebnislosigkeit eigentlich nur dazu dieute, den Liberalis-mus zu kompromittieren nnd seine Regierungsfähigst für Preußen bis heute in Frage zu stellen, das ist schwer zu erklären, undes zu erörtern ist nicht unsere, sondern die Aufgabe der poli-tischen Geschichtschreibung. Fürst und Minister Paßten in ihrenAnschauungen doch nicht zusammen, die Minister waren ihrer Nuf-

Ziegler, die geistigen u. socialen Strd'mnngcn deS l». Jahrh. 24