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1848 bis 1871: Die Begründung deS deutschen Reiches,
gäbe nicht gewachsen, in ihrer Wahl hatte der Regent offenbar keineglückliche Hand gehabt; nnd fo konnten sie es auch bei dem strengkonservativen Fürsten nicht durchsetzen, das; er ihnen in Per-sonensragen freie Hand ließ. Dnrch die Nation aber ging ein Auf-atmen vou der Reaktion, die sich ihr wie ein bleierner Druck aussHerz gelegt hatte, und Hoffnungen aller Art knüpften sich an diesenUmschwung. Freilich war man durch die Enttäuschung der vier-ziger Jahre auch uüchteruer geworden, und so galten diese Er-wartungen weniger der Persou des neuen Regenten, als vielmehrdem Wechsel überhaupt. Überall regte sich neues Leben, dieGeister wachten ans, in Jubel und Streit ertönten laute Stimmeu,alles geriet in Bewegung.
Das Schillcrfest.
Dem neuerwachten Gefühl der Hoffnung gab das Schillerfestvon 1859 durch gauz Deutschtand hin einen mächtigen Ausdruck —uicht nur in den Reden, die zum Preis dieses größten politischeuund nationalen Dichters auf Kathederu uud Marktplätzen, vorakademisch Gebildeten und vor großen Volksmassen gehalten wurden,sondern anch in dem grollenden und nörgelnden Beiseitestehcn derkonservativen und kirchlichen Kreise, die über Menschenvergötterungzeterten und lamentierten, weil nicht Legitimität, sondern Genialität,ein Geistesfürst von Gottes Gnaden zu feiern war. Karl Gerok wurde damals von seinen Stuttgarter Amtsgenossen in Acht gethan,weil er Gott auch für diesen Mauu laut zu dauken wagte. Diegauze Schillerfeier aber war ein Protest gegen die Reaktion wie gegenden Geist der Zeit überhaupt. Schiller war der Dichter der Frei-heit wie kein anderer. War von ihm die Rede, so durfte also auchwieder dieses Jahrelang verpönte Wort in den Mund genommenwerden, an seinem Klang durfte man sich wieder einmal frenenund stärken. Von dem Weltbürgertum des achtzehnten Jahr-hunderts hatte er sich nnter den Stürmen seiner Zeit frei gemachtund am Beispiel der französischen Jungfrau von Orleans seinemVolke gezeigt, daß im Vaterland die Wurzeln aller Kraft für deuEinzelnen wie für das Ganze liegen und daß nichtswürdig sei dieNation, die uicht ihr Alles setzt an ihre Ehre. Die Reaktionszeit