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Nach 1871: Der Kulturkampf.
und auszudehnen gewußt. Am 8. Dezember 1864 veröffentlichteer Encyklika und Syllabns, die beiden Dokumente, in denen erallem Fortschritt und Liberalismus, aller modernen Kultur undCivilisation den Fehdehandschuh hinwarf nnd alle Duldung gegenAndersgläubige, alle Glaubens- uud Gewissensfreiheit schlechtwegverneinte uud für verwerflich erklärte. Es war das eine Kriegs-erklärung zugleich auch gegen den Protestantismns und gegen jedenStaat, der sich der Kirche nicht bedingungslos unterwirft oder, wieHohenlohe 1869 es ausdrückte, „gegen mehrere wichtige Axiome deSStaatslebens, wie es sich bei allen Kulturvölkern gestaltet hat". Imfolgenden Jahr traf die Verdammung durch eine päpstliche Allo-kution vom 25. September 1865 die längst schon recht harmlosgewordene:? Freimaurer , als eine „verbrecherische, gegen die heiligenund die öffentlichen Dinge sich vergehende Sekte". Denn inihnen sah die katholische Kirche etwas wie ein teuflisches Widerspielgegen die Zoolews ^losv. nnd hörte darnm nicht ans sie zn fürchtenund sie zn bekämpfen. Es war dies ein Vorspiel zn dem be-rüchtigten Antifreimaurerkongresse zu Trient mit seinem tragi-komische»: Miß Vnughan-Schwindel im Jahre 1896.
Nun sollte aber erst der Hauptschlag kommen — die Lehrevon der Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubenssachen sollte öffent-lich als Dogma verkündigt und durch eiu ökumenisches Konzilsanktioniert werden. Rein dogmatisch betrachtet war das einJnternnm der katholischen Kirche , das Außenstehende nichts anging,und wenn die Bischöfe sich zn dieser ihrer eigenen Selbstabdanknngwillig zeigten, so brauchten sich die Katholiken nicht daran zukehren, daß die Protestanten an dieser Vergottung eines Menschenwie an einer Gotteslästerung schweren Anstoß und Ärgernis nahmen.Aber anders lag die Sache für den modernen Staat; denn in demunfehlbaren Papst wachten notwendig alle die Herrschaftsansprüchewieder auf, wie sie in Rom von Gregor VII. bis zu Bonifaz VIII .ihm gegenüber erhoben worden sind. Vor allem veränderte das Dogmadie Stellung der Bischöfe, machte sie dem Papst gegenüber ganzunselbständig und ^schloß damit eine Fülle von Konflikten in sich,welche ein selbständiger Bischof als Landeskind gewiß vermiedenhätte, in die er aber nun als willenloses Organ eines unfehlbaren