Der Altkatholizismus.
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noch einmal der deutsche Geist der individuellen Freiheit uud derwissenschaftlichen Ehrlichkeit, auS solchen Motiven heraus entschloßman sich, nicht leichten Herzens, zu Protest und Widerstand gegendas neue Dogma. Die Führung übernahmen Döllinger, Friedrich,Reusch, Schulte, Reinkens, neben dem von früher her schon opposi-tionellen Bonn war diesmal auch München ein Hauptsitz desWiderstandes. In welchem Sinn der Widerspruch erhoben wurde,zeigt vielleicht am kürzesten eiue vom Rhein ausgehende Erklärnng:„in Erwägung, daß die im Vatikan gehaltene Versammlung uichtmit voller Freiheit beraten und wichtige Beschlüsse nicht mit der er-forderlichen Übereinstimmung gesaßt hat, erklären die unterzeichnetenKatholiken, daß sie die Dekrete über die absolute Gewalt desPapstes und dessen Persönliche Unfehlbarkeit als Entscheidungeneines ökumenischen Konzils nicht anerkennen, vielmehr dieselben alseine mit dem übereinstimmendem Glauben der Kirche im Wider-spruch stehende Neuerung verwerfen". Nnn gab es freilich unterden Prvtestauten nicht wenige, die da meinten, nachdem sich imneunzehnten Jahrhundert die Katholiken von römisch-jesuitischerSeite so vieles und darunter auch ein nenes Dogma, wie das vonder unbefleckten Empfängnis der Maria, haben gefallen nnd auf-oktroyieren lassen, sei der Widerstand nicht mehr konsequent undkomme jetzt schon zu spät: wer a bis y gesagt habe, könne undmüsse auch noch z sagen, könne und-müsse auch uoch dieses letzteDogma mit in den Kauf nehmen. Allein so richtig das vom Protestan-tischen Standpunkt auS gedacht war, aus dem der Subjektivismusin jeder Frage und an jedem Punkt sein Recht beansprucht, inner-halb des Katholizismus mit seiner starren Objektivität und seinerVerusnng auf Autorität und Tradition steht die Sache anders.Wenn also Männer wie Döllinger, deren Nechtglänbigkeit bis dahinwenigstens nach anßen hin über jeden Zweifel erhaben gewesen warund die ihrerseits als streitbare Kämpfer und als Zierden derKirche gewirkt und gegolten hatten, sich gerade an diesem Pnnktzum Widerstand entschlossen, so mußte im llnfehlbarkeitsdogmadoch eine ganz besonders starke Provokation liegen, nnd darnm ge-rade hier ein Ansbänmcn des deutschen Gewissens nnd des deutschenFrcihcitsgefühls gegeu die römisch-jesuitische Vergewaltigung des-
Ziegler, dic qeistiqcu u. sociale» Strommigcn dcS 19. Jahrh. 27