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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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Nach 1871: Der Kulturkampf.

selben als sittlich berechtigt und notwendig anerkannt nnd derProtest der deutschen Wissenschaft dagegen mit Achtung begrüßtwerden. Und wenn auch die deutschen Bischöfe bis zur Entscheidungin diesem Dogma eine Gefährdung des Friedens zwischen Kircheund Staat gesehen hatten, so dnrfte man sich vor allem von staat-licher und staatstreuer Seite her dieses Widerstandes sreuen.Jedenfalls aber ignorieren konnte man die Bewegung schondeshalb nicht, weil sie zu Verwickelungen zwischen Kirche nnd Staatführen mußte. Theologische Professoren und einzelne Geistliche,die das Dogma nicht annehmen wollten, wurden von ihren Bi-schöfen exkommuniziert uud ihnen ihr Lehramt entzogen, dasführte zu Eingriffen in Rechte des Staates, der die Professorenangestellt hatte. Und als sich bald auch ganze Gemeinden vonAltkatholikcn" bildeten, die den Anspruch erhoben, nach wie vorgute Katholiken zu sein und nnr das neue Dogma nicht anerkennenwollten, da mußte der Staat zu dieser Neubildung kirchlicher Ge-meinschaften Stellung nehmen, namentlich die Frage der Mit-benützung der Gotteshäuser sührte zu schwer lösbaren Streitigkeiten.Und als vollends 1873 von den Vertretern dieser Altkatholikenein eigener Bischof in der Person des Breslaner Professors Reinkensgewählt und von dem Bischof der alten jansenistischen KircheHollands in Rotterdam rite konsekriert war, da mußte auch ihuder Staat anerkennen, schützen und dotieren. Am günstigsten zeigtesich der Bewegung Baden, dessen Negierung damals in der starkenHand Jollys lag, am zurückhaltendsten war Bayern , wo freilichauch die Gegensätze am schroffsten waren und den geistigen Führernder Bewegung die fanatischsten Bischöfe uud die zurückgebliebensteLandbevölkerung gegenüberstanden.

Dem Umfang nach war und blieb freilich die altkatholischcBewegung klein, Hase rechnet etwa 100 000 Altkatholikeu im Reichund in der Schweiz, 1878 waren ihrer in Deutschland 52 000, diedann allmählich unter 30000 zurückgegangen sind. Von Anfangan war es eben auch diesmal wieder verhängnisvoll, daß keinerder opponierenden Bischöfe sich an die Spitze der Bewegung gestelltoder sich ihr auch nur nachträglich angeschlossen hat; in einer sostraff disziplinierten Kirche folgt die Herde fraglos dem Hirten,