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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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Nach 1871: Der Kulturkampf.

Staates, seine Beamten gegen die Übergriffe der Bischöfe zn schlitzen,nicht entziehen. So brach denn der Kampf los, den man nacheinem Worte Nirchows denKulturkampf" zu nennen pflegt. Erwurde natürlich am vorsichtigsten in Bayern , dafür um so energischerin Baden durch Jolly, iu Preußen durch den 1872 als Kamps-minister an Mühlers Stelle berufenen Kultusminister Falk uud imDeutschen Reiche vielfach durch Bismarck selbst geführt. Im Reichder Kauzelparagraph, wonach Geistliche, die beiAnsübuug ihres Be-rufes Angelegenheiten des Staates in einer den öffentlichen Friedengefährdenden Weise zum Gegenstand einer Verkündigung oder Er-örterung machen", uuter Strafe gestellt wurden, die Ausschließungdes JesuiteuordeuS auS dem Reich nach dem Porgang der Schweiz ,die Einführung der Eivilehe: in Preußen die Aufhebung jenerbeiden Verfassungsparagraphen, das Schulaussichtsgesetz, welchesdie Schule vou der Kirche emauzipiereu sollte, die Bestim-mungen über die Vorbildung nnd Anstellung der Geistlichen,das Gesetz über die Verwaltung erledigter Bistümer und die Er-richtung eines königlichen Gerichtshofes für kirchliche Angelegen-heiten so solgten sich die Maigesetze der Jahre 1873 nnd 1874Schlag auf Schlag. In Baden kam dazn noch die Einführung derden Mtramontanen besonders, verhaßten Simultanschule. Nud alsdie Preußischem Bischöse uud viele Geistliche sich zu gehorchenweigerten, wurden ihnen die Temporalien gesperrt, wurden sie ab-gesetzt, gefangen gesetzt oder ausgewiesen; und da der Staat die nichtzur Anzeige gebrachten Geistlichen nicht anerkannte und ihirxn jedeAmtshandlung untersagte, und umgekehrt die Gemeinden von demihnen erteilten Recht der Psarrwahl keinen Gebrauch machten, sostand der größte Teil der Bistümer uud etwa eiu Viertel derPfarreieu verwaist.

Mit Spauuuug verfolgte man im Volk die aufregendenDebatten im Reichstag uud iu deu verschiedene» Einzellnndtagen,vor allem dem preußischen. Hier wurden große weltgeschichtlicheFragen von beideu Seiten mit Geist und Kraft erörtert und dieverschiedenen Standpunkte mit Leidenschaft und Erbitterung ver-fochten. Ganz abgesehen von allein, so aus geistiger Höhe ist derParlamentarismus in Deutschland weder vorher noch nachher ge-