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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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Nach 1871: Socialismus und Socialdemokratie.

Sitten und gutgemeinten Wohlsnhrtseinrichtungcn fehlte es in ein-zelnen Fabrikbctrieben ohnedies nicht. Aber charakteristisch für denliberalistischcn Individualismus auf diesem Gebiete sind nicht solcheüberdies nicht sehr wirksame Einschränkungen durch eine wohl-meinende Bureaukratie von oben oder jene Ausnahmen einzelnerrichtig empsindeuder Arbeitgeber, sondern charakteristisch ist, wie esim Wesen dieser Gesellschaftsordnung liegt, daß die prinzipiell ver-kündigte Freiheit und Gleichheit aller einzelnen Individuen in ihrGegenteil umschlägt, iu Ungleichheit, Unfreiheit und Abhängigkeithineinführen kauu, nach Treitschke sogar hineinführen mnß. DasSchlimmste aber ift die ethische d. h. die unsittliche Basis dieser Ord-nung i statt Individuen und freier Persönlichkeiten schließlich nurHände", statt Menschen nurDieustbotcn", ein Glied und eine Seitenur statt des ganzen Menschen, und so das Ganze kein Ganzem mehr,sondern verkümmert gerade iu seiueu höchsten uud reichstenFunktionen; nnd statt einer organisierten Gesellschaft, woallessich znm Ganzen webt, eins in dem andern wirkt und lebt", eineuuorgauische, uugegliederte Masse, der vor allem eiues sehlt, dievolle Teilnahme an den Gütern unseres Volkstums, an den Er-rungenschaften unserer Kultur, au ihreu Genüssen nnd ihrenSegnnngen, an Schönheit und Glück, an Wahrheit nnd Bildung,an sittlicher Freiheit und menschenwürdigem Dasein.

Dem tritt nun der Socialismus gegenüber als eine sittlicheLebensanschauung anderer, höherer Art. Ist der Individualismusmechanisch, so kann mau ihu im Gegensatz dazu organisch nennen,der dissonierenden Tendenz desselben tritt er, wie schon sein Namesagt, associierend gegenüber. Der Einzelne ist hier nicht etwas fürsich, sondern etwas nur als Glied und Teil eines Ganzen, imDienste dieses Ganzen und verpflichtet zu thätiger Mitarbeit amAuf- nnd Ausbau desselben: nnd zwar muß diese sociale An-schauung gerade auch auf die von ihr noch am wenigsten berührtennd durchdrungene Arbeit im Dienste der materiellen Kultur über-tragen werden. Die Gesellschaft soll auch beim Producieren undKonsumieren uicht länger als ein zusammengewirbelter Hanse gleich-gültig durcheinander sich schiebender Atome betrachtet werden,sondern eher, nach dem freilich gefährlichen nnd in seiner Durch-