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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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Nach 1871: Socialismus und Socialdemokratie.

namentlich auch auf die großen socialen Mißstände in den länd-lichen Bezirken Ostelbiens hinwiesen und dagegen von der einenSeiteKvuig Stumm", von der andern das konservativ-agrarischeJunkertum gegen alles, was social hieß, mobil machte und dieKanzel - wie die Kathedersocialisten auss heftigste angriff, nahm einneuer oberkircheurätlicher Erlaß im Dezember 1895 das zurück undWarute die Geistlichen ernstlich davor, auf den socialen Kampfplatzherabzusteigen. Er begründete dies damit, daß hinter diesen welt-lichen Aufgaben nicht selten die pfarramtliche Thätigkeit hintan-gesetzt, die Vertrauensstellung der Geistlichen in den Gemeindengefährdet und die Würde des geistlichen Amts kompromittiert werde;die Kirche habe kein Recht, Schiedsrichterin in weltlichen Sachenzu seiu. Gleichzeitig suchte mau durch Versetzungen und Ent-setzungen agitatorisch auftretender Geistlicher die christlich-socialenPastoren einzuschüchtern nnd mundtot zu machen. Wie sehr StöckersAnsehen gesunken war, das zeigte das Verhalten der Generalsynodeim Dezember 1897: als Stöcker gauz richtig auf den Unterschieddieser beiden Erlasse hinwies und sich gegen den zweiten wandte,ließ man ihn im Stich und billigte die Netraktation des Ober-kirchenrats.

Der ganze Vorgang läßt deutlich erkennen, wie gefährlich dieBeteiligung der Kirche an der socialistischen Bewegung für diese selberwird. Die Kirche begiebt sich damit auf eine schiefe Ebene undweiß nicht, wo und wann sie am unteren Ende derselben ankommt.Auf der andern Seite aber hat sie zu befürchten, daß das Volkihr vollends den Rücken kehrt, wenn sie um feine berechtigtenirdischen Bedürfnisse sich gar nicht kümmert und die wirtschaftlichSchwachen nicht anch nach dieser Seite hin stärkt und schützt.Daher läßt sich freilich das schilfartige Hin- und Herschwauken despreußischen Oberkirchenrats Wohl begreifen; nur zur Hebung deskirchlichen Ausehens hat es nicht beigetragen. Umgekehrt ist nichtzu verkennen, daß nicht nur das Volk die'sociale Mitarbeit derKirche sich gerne gefallen läßt, sondern daß auch die Gebildetenvor dieser Bethätigung eines praktischen Christentums mehr Respekthaben als vor den Lehrstreitigkeiten über die Jungsranengeburtund die Geltung des Apostolikums. Jenes fördert und führt zu-