Zwei Thronwechsel.
531
hatte lesen lassen, ans Licht und stellte dessen Eintreten für dieIdee des Kaisertums im Jahre 1870 so dar, als ob sürstlichcrStolz das einzige Motiv dasür gewesen wäre, ohne zu bedenken,baß dieser sich ihm gegenüber doch nur deshalb so rückhaltlos auchdarüber ausgesprochen hatte, weil er annahm, daß sich für einenMann wie Freytag das Höhere und Ideale sozusagen von selberverstehe.
Aber wenn sich auch die hochgehenden Wogen dieser traurigenMonate rasch beruhigten und man im berechtigten Gefühl derBeschämung schuell darüber hinwegzukommen suchte, eins bliebdoch bestehen: in Kaiser Wilhelm I. war die ganz alte Generationam Ruder gewesen; mit Kaiser Friedrich sollten die Männer derdreißiger und vierziger Jahre zum Negieren kommen, diejenigenalso, die das Jahr 1848 und die Reaktionszeit mit Bewußtseindurchlebt, Kaiser und Reich durch schwere äußere und innere Kämpfeerrungen hatten und somit allerdings von den alten liberalenIdeen der Einheit und der Freiheit wie keine andere Generationberührt und erfüllt waren. Indem aber nach der politisch inhalts-leeren Episode der 99 Tage an die Regierung des neunzigjährigenGroßvaters die Herrschaft des noch uicht dreißigjährigen Enkelssich anschloß, folgte ans das Alter unmittelbar die Jugend, diemittlere Generation fiel aus. In einem so durch nnd durchmonarchischen Lande wie Deutschland machte das etwas aus.Es konnte gar nicht anders sein, die Generation des neuen Kaisersfühlte mit ihm ihre Zeit gekommen, die der älteren war unwieder-bringlich vorbei. Das bedeutet aber einen wirklichen Ausfall undVerlust im Leben einer Nation, wenn die Stimmungen, Erfahrungennnd Anschauungen einer ganzen Generation sich nicht zur Geltungbringen können; und es ist zugleich ein Unvermitteltes, ein Sprung,wenn an das höchste Greisenalter mit Umgehung des Mannesaltersi>er Jüngling sich anschließt. Alles Sprnnghaste aber wirkt wieim Leben der Einzelnen so auch in der geschichtlichen Entwickelungganzer Völker beunruhigend und aufregend, es ist wie eine Re-volution. Und etwas wie ein Unglück lag auch dariu, daß dieübersprungene Generation, zurückgedrängt und benachteiligt wie sie
war, nun anch unzufrieden uud grolleud beiseite trat und allzu-
34*