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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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Nach 1871: äs siede'

früh von dem Vorrecht des Alters zu kritisieren, zu uörgelu uuddie bessere alte Zeit zu loben Gebrauch machte. Daß heute soviele Ältere darüber klagen, daß sie zu alt seieu, um ihre Zeitnoch zu verstehen, hängt damit zusammen. Und wie sich ans deranderen Seite die Jugend, die ja ohnedies nie an zuviel Bescheiden-heit leidet, das zn nutze macht, sich als Herrn der Situationsuhlt und keck und rücksichtslos sich vordrängt, das können undmüssen wir ja auf allen Gebieten sehen nnd erleben.

Zum Abschluß aber und zuni Bewußtsein kam das alles docherst im März 1890 beim Sturze Bismarcks . Den Ursachen des-selben haben wir hier nicht nachzugehen, auch der Form der Ent-lassung nur deshalb zu gedenken, weil sie bei vielen den Stachelnoch tiefer eingedrückt hat. Uns interessiert hier nur die Wirkungauf das Volk. Im ersten Augenblick konnte es scheinen, als seidieselbe doch keine so große und tiefgehende gewesen. Das preußischeAbgeordnetenhaus nahm die Sache hin, ohne ein Wort zn verlieren,selbst sein Präsident, der konservative Herr von Koller schwieg, undauch im Reichstag hat der sonst so redegewandte Herr von Levetzowdasür kaum das rechte Wort gefunden. Aber schon der beispielloseEnthusiasmus der Menge bei Bismarcks Abreise aus Berlin mußteeines anderen belehren. Bismarck blieb auch nach seinem Sturzder, der er war, der große Mann, zu dem die Welt iu Liebeoder Haß auch jetzt uoch Stellung uehmen mußte. Ob er invulkanischem Zorn Unerhörtes sprach oder in elegischen Lauten dasungenützte Brachliegeu seiner Riesenkrast beklagte, ob er mit tieserpolitischer Weisheit als der getrene Eckart seines Volkes sich vernehmenließ oder aus dem unerschöpflichen Schatz seiner ErinnerungenHeiteres uud Ernstes hervorholte, immer lauschte auf ihn ein ganzesVolk, um nicht zu sagen, die ganze Welt. Auf der Reise nachWien oder in Kissingen strömten Tausende und Abertausende zu-sammen, um ihn zu sehen und reden zu hören; jener Uriasbriefseines Nachfolgers an den Kaiserlichen Botschafter in Wien warebenso wie der Erlaß an sämtliche deutsche Gesandten vom Mai1890 ein Pseil, der auf den Schützen selbst zurücksprang nnd anBismarck und an dem Glauben des Volkes an ihn kraftlos abprallte.Als dem Achtzigjährigen am 1. April 1895 der deutsche Reichstag