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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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. Deutsche Machtstellung uud deutsches Mcichtbewußtsciu,

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und das Vertrauen zu seiner Leitung uud Regierung; nnd so istin diesen acht Jahren viel schon von dein Kapital aufgezehrt wordeu,das Bismarck und sein lieber alter Herr beim deutschen Volk fürKaiser und Reich erworben haben. Aber anch da war der 30. Juli1898 noch einmal ein Ruf zur Sammlung, au vielen Stellen istdas Gelöbuis ausgesprochen worden, daß das deutsche Volk überalles hinweg festhalten wolle, was es unter Bismarcks Führungan Einheit sich errungen hatte und an Macht.

Deutsche Machtstellung und deutsches Machtbewußtseiu.

Denn durch ihn sind wir uicht uur wieder ein Volk, sondernnur sind auch eine Macht geworden: er, der große Realist, hatauch uns zu Realisten gemacht, er der Mann voll Temperamentund Willen hat auch uns den Willen gegeben, beides, ein Bolkund eine Macht zu sein. Dieses Machtbewußtsein ist freilich soplötzlich über uns gekommen, daß es nicht sofort sich in denWillen zur Macht umsetzte, wir habeil vielmehr zn Ansang nichtrecht daran glauben wollen und es sicher noch weniger über Gebührgezeigt. Selten ist ein siegreiches Volk bescheidener gewesen als dasdeutsche iu deu siebziger Jahren. Auch dafür ist Kaiser Wilhelm I. typisch, dessen Größe eben in seiner Bescheidenheit bestand; alseinen der Großen der Erde hat er sich freilich gefühlt, aber Wil-helm der Große zu sein ist ihm nie eingefallen. Den Beweis fürdiese Bescheidenheit erbrachte die Friedenspolitik des neuen Reiches.Daß uus im Jahre 1875 Rußland davon habe zurückhalten müssenüber das rasch wieder erstarkte Frankreich herzufallen, ist eine von deineiteln und auf Bismarck ueidischeu Fürsten Gortschakow in die Weltgesetzte Fiktion; selbst wenn es in Berlin eine zu Krieg undrecht-zeitigem Angriff" dräugeude Militärpartei gegeben haben sollte, sowaren Bismarck und, darin ganz mit ihm eins, Kaiser Wilhelm I.Manns genng, diese Augriffslustigeu in ihre Schranken zurück-zuweisen. Allein gerade diese ausgesprocheue Friedenspolitik, dasStreben, alsehrlicher Makler" z. B. auf dem Berliner Kongreßvon 1878 die in Europa vorhandenen Gegensätze auszugleicheu nnddrohende Konflikte zn beseitigen, und die in den Dienst dieserPolitik sich stellende Gründung des Dreibunds, in dem Deutschland