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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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Deutsche Machtstellung und deutsches Machtbewußtsein,

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vollständigere Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht aber imganzen Deutschland nahmen die soldatischen und militaristischenNeigungen zu, der Mann ist stolz darauf gedient zu haben, und beiParaden und Manövern zeigt sich die Teilnahme und Freude desVolkes au seinen Söhnen in Waffen immer aufs neue. Ein Stromvon Kraft nnd Gewandtheit ergießt sich dadurch über das gauzeLand, die Ansprüche, die in Leistungen und Disciplin an denWillen gestellt werden, erhöhen auch die Tüchtigkeit des Volkesund geben ihm eine straffe männliche Haltung; und die Wertschätzungder militärischen Tugenden, zn denen auch die Ehre und dasAussichhalten des Mannes gehört, wirkt aus das ganze Volk er-ziehend ein.

Allein über zweierlei dürfen wir uns dabei doch nicht täuschen.Einmal, es sind doch nur die specifisch soldatischen Tugenden, dieim Heere großgezogen werden; die eigentlich sittliche Erziehung derjungen Männer während ihrer Dienstzeit läßt zn wünschen übrig,namentlich den Söhnen vom Lande thut der Anseuthalt in denGroßstädten mit ihren anspruchsvollen Gewohnheiten und ihreuverführnngsreichen Gelegenheiten vielfach moralisch nicht gnt; unddabei ist der Heeresleitung der Vorwnrf doch nicht ganz zu ersparen,daß sie nicht besser sorge und die Macht, die sie über hnndert-tansende von jungen Menschen in der Hand hat, zur sittlichenHebung des Volkes nicht energischer ausnütze. Und fürs anderewird der militärische Geist ohne Not und Gewinu auch in diebürgerlichen Verhältuisse hereingetragen, wo er nicht hingehört undnicht günstig wirkt. Die Kriegervereine namentlich, die den Geistder Kameradschaft auch über die Dienstzeit hinaus lebendig erhaltensollen, kommen dnrch ihre vielen Feste und Vereinszusammenkünsteder Vergnügungssucht uud Umnäßigkeit allzu duldsam entgegen,der in ihnen gepflegte Patriotismus zieht die Phrase und ziehtPhrasenre groß, öffuet der Eitelkeit und Streberei Thür undThor und erzengt jene gedankenlose Hurrastimmung, die die ernst-haste politische Erziehung uud Verselbstäudiguug mehr hemmt alsfördert. Ganz besonders aber breitet sich der militärische Geist in denoberen Klassen ans. Wir haben allen Grnnd, ans unser Offiziers-korps, auf feine Bildung, feine Tüchtigkeit nnd seine Ehrenhaftigkeit