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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
Entstehung
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Nach 1871:I'iii äs sieols".

auf dem Gebiet der Fabrikarbeit. In den oberen Schichten wardie Frauenfrage bis dahin wesentlich eine Ehe- uud Bildungsfragegewesen, hier dagegen handelte es sich zunächst um das äußere Losder Fabrikarbeiterin. Der Mann, der eben genug für sich ver-diente, war, um Frau uud Kinder zu erhalten, genötigt, auch diesein die Fabrik zu schicken. Und die Folge davon war, daß derLohn noch mehr herabgedrückt wurde und das Familienleben sichauflöste. Gewisse Arbeiten können von Frauen uud Kiudern eben-so gnt besorgt werden als von Männern. Fraueuarbeit aber warwie Kinderarbeitselbstverständlich" billiger, daher griff der Fabrikantlieber nach diesen kleineren und schwächeren Händen; überdies ließdie größere Anstelligkeit der Frauen, ihr Schönheitssinn nndGeschmack, ihre geringere Widerstandsfähigkeit und das geduldigeHinuehmeu der gesteigerten Anforderungen der Unternehmer diesendie Frauenarbeit vorteilhafter erscheinen. So machten die Kinderden Eltern, die Frauen den Männern eine erfolgreiche Konkurrenz,und was zunächst diesen den Kampf ums Daseiu hatte erleichternsollen, erschwerte ihn vielmehr beiden Teilen. Die schlimmste Folgedieser immer mehr sich ausdehnenden Beschäftigung von Frauenund Kindern in fast allen Zweigen der Industrie- und Fabrik-thätigkeit war aber die physische nnd moralische Degeneration derBevölkerung. Durch Kindersterblichkeit und vielfaches Siechtumder Mütter rächte sich die Natur für die Verimchlässigung derersten Familienpflichten. Und ebenso konnte von Besorgung desHauswesens und Erziehung der heranwachsenden Kinder bei einerden ganzen Tag in der Fabrik beschäftigten Fran keine Rede sein.Das Resultat war: die Frau vor der Zeit verblüht und vergrämt,die Kinder körperlich und geistig verwahrlost, namentlich die Mädchenohne Anleitung zur Hausarbeit nnd ohne Borbild für häuslicheTngeudeu uud Pflichten, der Mann angewidert vom Elend uudder Schlamperei im eigenen Hans ein Kunde des Wirtshauses unddem Laster des Alkohols verfallen und zu Haus ein Wüterich, derin trunkener Roheit Fran und Kinder prügelte. Das war dieEhe und das Familienleben von vielen Arbeitern.

Dieser Zustand schrie nicht allein zum Himmel, er zehrte aucham Mark des Volkes, darum heischte schon die Selbsterhaltung der