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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
Entstehung
Seite
578
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S78

Nach 1871: .l^iii Äs sidclo".

lebhaft vorstellen. Aufhalten wollen, was doch kommt, hat immeretwas von Douauixoterie an sich, man blamiert sich dabei.

Das Wiedererwachen des Individualismus.

Noch auf einen Punkt dieses Kampfes der Frau um deuEinzelnen ist hinzuweisen, es ist der wichtigste und tiefste. AmSocialismus tritt uns vor allem die nivellierende Tendenz ent-gegen: dein Fabrikarbeiter schwebt für den Zukunftsstaat das Bildder Fabrik vor, in der jeder im wesentlichen dasselbe zu leistenhat uud dein andern durchaus gleich steht. Gegen diesen allesgleichmachenden Socialismus kann man in einer größeren Beteiligungder Frauen am öffentlichen Leben der Zukunft etwas wie eineSchutzwehr sehen; denn ihnen als den Hüterinnen und Pslegeriuuender Individualität darf man gerade hiergegen größere Widerstands-kraft zutrauen als uns an das leibliche uud leider auch au dasgeistige Nuisormtragen gewöhnten Männern. In Wahrheit bedeutetfreilich uur von oben angesehen der Socialismus eiue solche Nivellier-ung; von unten aus betrachtet erstrebt auch er wie der LiberalismusEmanzipation und Herausarbeituug des Individuums: aus denHänden " sollen Menschen, ans den Massen sollen differenzierteWesen werden, die an den Gütern der Kultur und Bildungihreu Anteil bekommen. Allein diese individualisierende Seite trittnicht hervor und daher wird sie von den meisten gar nicht gesehen;deshalb gilt der Socialismus in gewissem Sinn doch mit Recht alsder strikte Gegensatz zum Individualismus; in diesem erwächst demsocialen Geist der gefährlichste Gegner.

Das Sociale ist ein Gesellschaftliches; um die Wohlfahrt alleroder möglichst vieler handelt es sich, also in der That um Massen-bedürfuisse, Masseubefriediguug, Massengeist; und so ist das socialeZeitalter eine Epoche der Masseninstinkte und Massengefühle, dieBeschleunigung des Lebensteinpos" läßt sie zu MassenleidenschaftenundRauschgefühlen" herauwachseu; die Erleichterung der Vertehrs-möglichkeiten treibt bei allerlei Anlässen ungeheure Masseu zu-sammen und begünstigt auch das dauerhafte Hereinfluten derMenschen vom Land in die großen Städte, die so immer mehr zuRiesenstädten werden. Die Großstadtluft aber vermehrt das Masseu-