Die Poesie.
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einer bestimmten Partei, um auch die auf anderer Seite Stehendenbegreifen, und zu fest in seinen auf dem Boden von 1848 gewachsenenAnschauungen befaugeu, um dem Neuen und Großen der sechzigernnd siebziger Jahre gerecht werden zu können. Die Neigung zumLehrhaften, das rückt ihm Hart mit Recht vor, ließ diese Tendenzallzn grell hervortreten, darüber kam die Poesie zu kurz; die Vor-liebe für starke Effekte und allerlei Romanhaftes that der Wahr-scheinlichkeit und Glaubhaftigkeit, also dem Realismus Eintrag, unddie Scharfe des Tons schädigte die Schärfe der Beobachtung, ander es ihm sonst keineswegs gefehlt hätte.
An Scheffels „Ekkehard" und Freytags „Ahnen" schließt sichder Professorenroman eines Dahn und Ebers an, der dem Histo-rismus der Zeit entsprechend ebenfalls historisch war und schnell inMode kam. Aber in den ägyptischen Masken namentlich stecktendie langweiligsten und uuinteressantesten Menschen, in Erfindunguud Psychologie waren beide Romanschriftsteller schwach, und bloßdas Historische nnd Kulturhistorische, um nicht zu sagen: das Kunst-gewerbliche daran rief die Neugier wach; nur iu „Homo Zum"hat Ebers ein anch menschlich interessantes Problem behandelt.
Zwei Dichter waren allerdings auch in den siebziger Jahrenda, die uns heute noch durchaus modern ansprechen; sie fallen so-zusagen nur zufällig iu diese armselige Zeit herein, haben vielmehretwas Zeitloses an sich und darum sind sie anch über ihre Zeithinaus modern geblieben. Es sind dies Panl Heyse nnd GottfriedKeller . Mit seinen „Kindern der Welt" (1873) griff freilich auchHeyse iu die großen Fragen der Gegenwart hinein, wie er auchiin „Merlin" noch einmal auf das freireligiöse uud socialistischeProblem zurückkommt. Allein seine Hauptstärke liegt nicht in diesenRomanen, sondern in seinen hundert Novelleil; uud auch dort zeigter sich gerade den aktuellen Problemen gegenüber zu sehr nur alsBeobachter uud , künstlerisch reserviert uud vornehm wie er ist, zuwenig innerlich bewegt von ihnen, als daß er in die Arena desKampfes herabsteigen uud die Poesie einer Tendenz dienstbar machenmöchte. Den freien Menschen freilich verleugnet er nie, aber einKämpfer für die Freiheit ist er nicht, er ist nur Künstler. Was ihninteressiert, das sind die seelischen Vorgänge namentlich im Ver-