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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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Die Poesie,

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um den sich alles dreht, weil durch sie das Beste im Menschen,seine ganze Kraft entbunden wird, weil er hier ganz er selbst ist.Deshalb gehört Heyse aber auch in die modernste Phase unsererLitteratur, auch er steht fest auf dein Boden des Individualismus,auch ihm ist es immer nur um den Menschen, nicht nm die Massen,um den Einzelnen, nicht nm sein Milieu zu thun; und das ist beiihm um so bedeutsamer, da er entschieden Determinist ist, in denKindern der Welt" spielt sogar der Gedanke der Vererbung eineRolle: Toiuette, einKind des Unglücks und des Fluches, mnßdie Sünde ihrer Eltern büßen und ein unseliges Herz durchs Lebentragen, das nicht lieben kann". Aber zuletzt kann sie's ja doch,und so ist diese Gebnndcnheit doch nur die des Menschen an sichselber nach dem Worte Heraklits:seine Art ist dem Menschensein Dämon".

Wie Heyse in denKindern der Welt" an Stranß' alten undneuen Glauben, so knüpft Gottfried Keller imGrünen Heinrich "an Feuerbach an, zu dem er in Heidelberg , ebenso wie zu Mole-schott nnd Hettner, auch Persönlich in Beziehung getreten war.Uud imMartiu Salander" schildert er entschieden tendeutiös diepolitische Mißwirtschaft der Demokratie seiner Züricher Heimat inden siebziger Jahren und trifft sie scharf mit klatschendem Hieb.Allein vonMartin Salander " hat er selber gesagt:er ist nichtschön", nnd imGrünen Heinrich " ist das Kennenlernen nnd sichBekennen zn Fenerbach nur eine Episode neben vielen andern, eineEtappe mehr auf der ereignisreichen Bildungssahrt des jungenSchweizers. Faktisch ist Keller noch zeitloser als Heyse, weil erviel größer ist als er. Auf den ersten Blick erscheint er allerdingsunmodern, er wnrzelt in der Romantik, an Traumstimmung undschweifendem Phantasieleben fehlt es imGrünen Heinrich " nicht;und auch später noch eriunern z. B. jene irrationalen Sprünge insBurleske an die romantische Ironie, die mit ihren Gestalten spieltund sie phantastisch ins Fratzenhafte verzerrt. Aber bei Keller istes doch zugleich noch etwas anderes, ein Zeichen seiner souveränenMacht über den Stoff »ud seiues vollen dichterischen Könnens;wenn wir noch einmal an Goethes Wort denken, das Romantischesei das Kranke, das Klassische das Gesunde, so ist Keller überhaupt