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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
Entstehung
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Nach 1871:?in äs sit-ols".

nicht romantisch, denn er ist durch und durch gesund, fest undaufrecht steht er auf seiuciu schweizerischen Heimatbodcu, ein kern-haft Männliches, ein Naives nnd ganz Realistisches ist in ihm.Indem er aber als Realist seine Menschen in das helle Licht desTages stellt, so zeigcu sie unS auch ihre schwachen Seiten klar uuddeutlich, vor dem Licht seines gesunden, nüchternen Menschenver-standes können sich ihre Thorheiten nicht verhüllen nnd nicht alsWeisheit bestehen, nnd darum lacht er, aber uicht mit dem bösenLachen der Ironie, sondern mit dem ausgelassen lustigen Lachendes Humors. So vereinigen sich in ihm die drei Nomantik,Realismus nnd Humor zu einer ganz eigenartigen Mischungvon trefflichster Klangwirkung. Wie der Dichter selbst, so keruigund gesund, so natürlich uud aufrecht sind aber auch die Menschenin seinen Erzählungen, plastisch anschaulich, klar uud durchsichtigstellt er sie vor uns hin. In dieser Anschaulichkeit besteht KellersRealismus und besteht das ganz Moderne seines Wesens: er kannsehen, wie unsere naturalistischen Maler sehen gelernt haben, under kann das Gesehene wiedergeben, wie es ist, er kann malen.Dabei haftet aber sein Blick nicht an der Oberfläche, sondern dringtin die Tiefe, er sieht seinen Menschen ins Herz; sein Auge erinnertan das große objektive Auge Goethes. Deshalb sucht er aber uichtetwa nach verzwickten Problemen, an denen sich der Psychologe ab-zumühen hätte, das braucht es bei ihm uicht, sondern was eruns vorführt, sind einfache Meuschen, einfache Verhältnisse, einfacheErlebnisse, in sein und seines Volkes Leben greift er hinein, undwo er's packt, da wird es interessant, wo er's anrührt, da ver-wandelt sich'S unter seine» Händen in das lautere Gold derPoesie. Also keiue problematischen Naturen, sondern natürlicheund echte Menschen; deshalb bewegt er sich auch nicht in denKreisen der höchsten Bildung und Kultnr, seine Menschen stehenin der Natur und können sich in ihr, der wahrhaftigen, sehenlassen, in einfachen Verhältnissen leben sie, wo uicht alles nurMaske uud Schminke ist. Darnm müssen sie aber auch Indi-vidualitäten, Persönlichkeiten, Menschen sein, keine sich spreizendenPuppen, nichts von Ubermenschentum oder großwortiger Genialität,sondern ein guter kraftvoller Mittelschlag, wie er in der Schweiz zu