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Nach 1871: „In, 6s sidc-Ie".
„Schallrohr seiner sogenannten Ideen" gemacht habe und überallsein „moralisches Ich" hervorkehre, wirft ihm Steiger besondersvor. Wie sehr ihm damit unrecht geschieht, das zeigt ein Blickauf „Kabale und Liebe", aus „Wallenstcin", ja selbst ans die „Brautvon Messina", und daher ist es ein wirkliches Verdieust von Wolf-gang Kirchbach , der damit seine thörichten Büchleiu über Jesus wiedergut macht, daß er kürzlich diese „Schillerhasser" gerade anch aufdie modernen und realistische» Elemente in Schillers Dramen hin-gewiesen uud die Größe dieser „Dokumente der Menschheit" demnaturalistischenAnstnrm gegenüber wieder einmal energisch betonthat.
Noch weniger leicht konnte man mit Goethe fertig werden.Die Tradition, die an ihn anknüpfte, war nie ganz unterbrochen,eine Goethegemeinde gab es immer nnd sie war in stetigem Wachsen.Mit zweierlei Einwänden hatte man ohnedies allmählich aufgeräumt,daß Goethe unmoralisch und daß er undeutsch gewesen sei. Daserstere war als ein Vorurteil einfach verschwunden; und dasandere war ja nur wahr, wenn man sich einzig an sein Verhaltengegen Napoleon I. oder in den Befreiungskriegen hielt. Aber manmußte dann von „Götz" bis „Hermaun und Dorothea" allzuvielvergessen und man mußte das Beste — ihn selber streichen; denner war ein Besitz des deutschen Volkes von uuendlichem Werte,der in der Geschichte des deutschen Geisteslebens weder vergessennoch vermißt werden konnte. Was sein „Faust " an erschütternderTragik nnd an Jdeenfülle in sich birgt, darein können sich Dichterund Philosophen mit einander teilen; seine Lyrik bleibt jung undschön, wie am ersten Tage, da sie entstand; durch „Prometheus ",„Jphigenie" und „Helena" vermittelt er uns den Zugang zumklassischen Altertum; im „westöstlichen Divan" faßt er im Geistedes Herderschen Universalismus zwei Welteu in eine zusammen;er führt zu Spinoza zurück und zu Darwin vorwärts und eröffnetuns in Natur uud Geschichte den Blick für Werden uud Ent-wickelung. Über allein aber schwebt die Idee reiner Menschlichkeitals die Sonne, deren farbigen Abglanz wir in seinen Dichtungen,aber auch in seiner eigenen Person schauen dürfen — typisch,darum ist auch er Idealist, aber anschaulich, wie es dem Realistenziemt. In ihm ist ein Universalismus und eine Weite, die not-