Die Poesie,
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wendig zur Weitherzigkeit und zur Versöhnung der Gegensätze führt;darum kann jede Partei und jede Richtung sich auf Goethe be-rufen, mit Recht aber dürfen doch nur die es thun, die aufhörenPartei zu sein nnd nach einer Richtuug hiu zu gehen. Deshalbkann Goethe auch nicht so leicht veralten, er gehört der Welt an;sein Volk aber steht ihm doch am nächsten und würde sich selbstaufgeben, wenn es von ihm ließe. Er ist uns nötig, weil erunsere geistige Weltstellung verbürgt, die deutsche Bildung auf denhöchsten Punkt gehoben und sie doch über alle nationalen Schrankenhinaus universal, im besten Sinne des Worts weltbürgerlichgemacht hat. Deswegen hassen ihn die Kirchlichen, weil er dientopistischen Ansprüche auf die Universalität einer allgemeinen undalle umfassenden kirchlichen Geineinschaft durch den allein wahrenGedanken der Menschheit lind der Menschlichkeit zu Boden schlägtund überbietet, und den Chauvinisten wird bei ihm nicht warm,weil diesem großen Deutschen Deutschland allerdings nicht über alles,über alles in der Welt gegangen und weil er gerade darin so echtdeutsch gewesen ist.
War aber Goethe auch den Jnngdeutscheu zu groß, um anihm zu rütteln, und überdies realistisch genug, so daß sie sich auf ihnberufen zu dürfen glaubten, so griffen sie doch unter den älterenlieber auf andere zurück und brachten Friedrich Hebbels „MariaMagdalena" oder Otto Ludwig mit seinem „Erbförster" uud seinemRoman „Zwischen Himmel und Erde" wieder zu Ehren und schlugendamit nach rückwärts die Brücke zu Kleists Realismus und nachvorwärts zn jener intimen Stimmnngsmalerei uud Gedankentesereider Modernen. Die eigentlichen Mnster freilich waren auch sie nicht.
Diese junge Generation war, ähnlich wie die junge Maler-schule, durchaus realistisch und naturalistisch uud forderte deshalbvom Dichter, daß er die Welt und das Leben sehen und schildernsolle, wie es wirklich ist. Dazu gehörte aber wie in der Malereiso auch hier das Häßliche; und da die Jugend grelle Farben liebt,so wurde auch dieses in all seiner Nacktheit und Scheußlichkeituns vorgeführt und uns auch das Stärkste nicht erspart. Dafürkonnten sie sich teilweise mit Recht ans ein französisches Vorbild
berufen, auf Zola. Es gehört dies überhaupt zu den seltsamsten
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