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Die geistigen und socialen Strömungen des neunzehnten Jahrhunderts / von Theobald Ziegler
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Nach 1871-1<'in äs sisels".

Zügen der an Widersprüchen so reichen Zeit, daß die eben nochso patriotisch sich gebärdende Jugend sich ausschließlich an fremdeMuster hielt: zuerst kam der französische, dann der russische undschließlich als stärkster der skandinavische Einfluß. Die Stärke dermodernen Franzosen war die Schilderung des Milieus und dielitterarische Freilichtmalerei: für jenes ist Zola, für dieses Guyde Mallpassant charakteristisch. Bei dem Russen Dostojewski wares die psychologische Feinheit, mit der die intimsten Seelenvorgängeund Seelenregungen in unheimlicher Schärfe zergliedert werden,erraten und verraten fühlt man sich von einem solchen Seelen-kündiger undSeelentaucher". Der komplizierteste von allen aberist der Norweger Jbseu, ein moderner Rattenfänger, der es mitseinem grübelnden Verstand uns auch da anthut, wo wir unsseiner zu erwehreil sucheu und nns gegen ihn auflehnen. Er bildetden direkten Gegensatz zn Zola. Bei diesem ist es das Milieu,hinter dein die einzelnen Personen als gleichgültig verschwinden, beiIbsen die Einzelpersönlichkeit, die sich gegen das Milieu zur Wehresetzt und rücksichtslos ihr Recht, Judividuum uud Person zu sein,geltend macht. So predigt er das Evangelium des Individualismus,indem er Personen vor nns hinstellt, die von diesem Recht inkomplizierten und problematischen Fällen schrankenlos Gebranchmachen. Dadurch wird auch er Kulturkritiker wie Nietzsche nndreißt den Stützen der Gesellschaft die Maske der Lüge ab, die sievorgebunden haben. Auch mit der socialistischen Kritik berührt ersich, iu Gabriel Borkmann trifft er den Kapitalismus, und Klein-Eyolf nimmt am Schlich eine sociale Wendung. Ist er aber er-barmungslos und skeptisch gegen die Gesellschaft und ihre Moral,so ist er nicht minder rücksichtslos in der Zerfasernng des einzelnenMenschen und in der Bloßlegnng seiner intimsten Seelenvorgängc.Auch er taucht in die Tiefen der Seele hinab und zerrt auch dasVerborgenste und Geheimste schonungslos daraus hervor. Dabei istihm des Menschen Art sein Schicksal. Diese Art aber, woher kommtsie? Hier setzt Ibsens modernste Ader, der darwinistische Einschlag,der tiefsinnige Gedanke von der Vererbung ein. Das Erbe der Elternwird dein Menschen zum Schicksal vvu Kindesbeinen an, es erbtder Eltern Fluch und Segen, ihre Sünden suchen sich heim an den